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Archiv 2011/2012 |
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Dreaming of a White Summer
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Dezember 2012 – Ah, wie schön ist es doch, wenn’s endlich mal wieder richtig schneit – walking in a winter wonderland. Wenn nur die weiße Pracht nicht immer mit Kälte verbunden wäre. Warum muss es immer Winter sein, wenn es schneit. – Aber halt, das muss ja doch gar nicht sein. Kommen Sie mal mit, ich hab da was für Sie. … – Wir wissen nicht, was dieser freundliche Urlaubsagent des Dubai Indoor Ski Resort empfiehlt. Wir empfehlen eine moderne Schneemaschine, da können Sie die nächste Schneeballschlacht problemlos auf den Sommer verlegen. Mit der mobilen SnowBox 6100L lassen sich zum Beispiel noch bei 35° C gut vier Kubikmeter Schnee in der Stunde herstellen und zu jeder beliebigen Eventgelegenheit in die Gegend spritzen. Benötigt werden dafür nur rund 1.000 Liter Wasser sowie 100 Kilowatt-Stunden Strom – in einer Stunde der Stromverbrauch einer durchschnittlichen Familie für mehr als eine Woche. Wer das von der SnowBox erzeugte Scherbeneis nicht als echten Schnee akzeptiert, braucht nicht zu verzagen. Mit einem Vakuum-Schnee-Erzeuger wie dem hallengroßen IDE Snowmaker lassen sich annähernd echte Schneekristalle erzeugen – at any temperature verspricht der Hersteller. Über 70 Kubikmeter Schnee in der Stunde schaffen solche Anlagen, in denen Aggregate arbeiten, die einige 1.000 Kilowatt Leistung haben (da kommt man dann leicht einmal auf den Jahresstromverbrauch einer durchschnittlichen Familie, der da in ein, zwei Stunden durchrauscht). Die Pitztaler Gletscherbahnen ermöglichen sich damit zum Beispiel einen frühen Saisonstart im Herbst – damit die Gäste für den Wintersport nicht auf den kalten Winter warten müssen. 30 Tonnen Ingenieurskunst, um, nur so zum Spaß, dem Wetter ein Schnippchen zu schlagen. |
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Geschäft machen
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Oktober 2012 – Es ist ja heute eher selten, dass sich jemand jenseits bewirteter oder zumindest Dixi-bewehrter Natur bewegt. Kaum ein aussichtsreicher oder ansichtswürdiger Fleck dessen Zugang nicht stöckelschuhfähig trassiert wäre, nebst allen notwendigen Einrichtungen drum herum für die wesentlichen Bedürfnisse der Sandalenritterscharen – insbesondere den Ein- und Ausgang des Stoffwechsels betreffend. Kaum ein Ort ohne Örtchen also. Wenn es welche auch heute noch weiter treibt, in archaischere Gefilde der sanitären Unerschlossenheit, dann zumeist nur solche, die sich nicht viel darum scheren, zu Zeiten ihr Hockerl zu machen oder die vielleicht sogar einen gepflegten Spatengang zu arrangieren wissen. Für was in aller Welt brauchen wir also ein faltbares Papp-Klo, die Shitbox der Brown (sic!) Corporation aus London, die gerade auch in Deutschland nach Verbreitung sucht. Ein aufklappbarer Thron aus Wellpappe, wenn man ohne Komfortverlust mal den Fichtennadelduftklosteinen zu Hause mit einem Pappstuhlgang im Stadtpark entfliehen möchte. Ich mach’ mir jetzt schon in die Hosen, wenn ich mir die erste Begegnung mit einem Shit-Box-Pooper in freier Wildbahn ausmale. Gemacht werden soll in biologisch abbaubare Poo Bags, die danach …, ja was macht man denn damit danach – mit heim nehmen und ins Komposteimerchen auf den Balkon schmeißen? Und was wenn dereinst einen wandernden Faltklogänger der Schlag trifft und er in der zur Verrichtung aufgesuchten Stille nicht gefunden wird? Was werden Forscher über unsere Zeit mutmaßen, wenn sie in 5.000 Jahren einen Ötzi entdecken, der mit heruntergelassenen Hosen im Wald auf einer Schachtel sitzt? |
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Marshall vs. Merkel
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September 2012 – Eine Klarstellung scheint mir dringend angebracht, etwas Aufklärung im herrschenden Wirrwarr der wechselweise schwelenden und auflodernden Debatte um den rechten Weg zur Rettung des Euros, der Europäischen Union oder gar überhaupt des Friedens unter den europäischen Völkern – denn um was sonst als das Letztgenannte geht es im Grunde; eben darum ist auch die Inflation der Beschäftigungen damit und der Kommentare dazu mehr als legitim. So hoffe ich, trotz eines gewissen erwartbaren Stöhnens, „schon wieder Euro“, auf wackere Weiterleser, die sich der zermürbenden Komplexitätsschlacht dieses Themas unverdrossen stellen. Weil ihnen ein friedliches Europa das wert ist. |
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Ein mieser Ruf
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Juli 2012 – Die virtuelle Verdienstleistung unseres Daseins schreitet voran. Selbst einen Jux lässt man sich heute digital machen und ist freilich deswegen längst nicht davor gefeit, dass es doch nur ein schlechter Scherz wird. Websites wie marcophono.de automatisieren den Telefonstreich. An und für sich sowieso schon immer ein grenzwertiges Genre der Witzigkeit, in der vorgestanzten Banalität der digitalen Ausprägung aber tatsächlich eher geistige Körperverletzung. |
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Paradise Regained
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Juli 2012 – Über dem großen Teich versinkt der gesunde Menschenverstand. An dem zum Eisberg erstarrten Sorbet von christlichem Fundamentalismus und staatlicher Förderung kommt die Titanic der Vernunft nicht unbeschadet vorbei. Was fatal enden kann, weil die Vernunft, anders als vermutet, vielleicht doch nicht unsinkbar ist. |
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Nö. - Nicht sehr viel. - Wir versuchen es.
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Juli 2012 – Einmal abgesehen von der Frage, ob es in einer verantwortungsvollen Position wirklich angemessen ist, als Vater eine dreimonatige Babypause einzulegen – es ist ja nicht so, dass man nicht auch ohne Auszeit an der Erziehung seines Nachwuchses teilhaben könnte – dies also einmal hintan gestellt, möchte man im Falle Sigmar Gabriels aber schon noch einmal nachhaken, wenn er doch gleich wieder Pause von der Pause macht, um zwischen „Mariechen ist abgefüttert“ und „Mariechen hat Hunger“ die Komplexität des politischen Diskurses volksnah inszeniert auf getwitterte, notgedrungen (oder glücklicherweise?) argumentationsfreie 140-Zeichen-Stellungsnahmchen zu reduzieren. |
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Krankes System
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Juni 2012 – Deutsche Regierungsbeamte melden sich 16 Tage im Jahr krank – so viel wie sonst nirgendwo in der OECD (Government at a Glance 2011). Deutsche Unternehmer sind nur knapp sieben Tage im Jahr nicht auf ihrem Posten (BKK Gesundheitsreport 2011). Geldausgeben ist offensichtlich deutlich kräftezehrender als Geldverdienen. |
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Kinderarbeit
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Juni 2012 – Ein paar wirklich einfache Gedanken zum Betreuungsgeld: |
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Mist gemacht
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Juni 2012 – Duft-Müllbeutel und Abfalltonnen-Deo, umso mehr Dreck wir uns in hemmungsloser Discounter-Völlerei nach Hause karren und mehr und mehr davon gerade einmal angebissen in die Tonne hauen, umso weniger wollen wir von der Dreckigkeit dieses Drecks belästigt werden. Knapp sieben Millionen Tonnen Lebensmittel befördern die deutschen Haushalte jährlich in den Müll. Nur die Haushalte – mit Handel, Industrie und Großverbrauchern summiert es sich auf 11 Millionen Tonnen. Der erheblich größere Teil davon wohl vermeidbar. (Quelle: Instituts für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart, 2012) Das stinkt tatsächlich gewaltig zum Himmel. |
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Kaum zum Aushalten
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Juni 2012 – Interview der Wirtschaftswoche mit Michele Marsching, Vorsitzender der PIRATENPARTEI in Nordrhein-Westfalen |
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Himmelsbotenstoffe
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April 2012 – Schon mal was von Engelspray gehört? Nein, nicht der Duft der Frauen provoziert, dass einem drei Engel für Charlie wie nichts auf den Schoß fallen. Und, nein, auch nicht in Gelb als Reifenpannenspray vom ADAC. Engelspray ist Raumspray für die höheren Dimensionen der Sinneswahrnehmung. Quasi Zimmerdeo gegen übel transpirierende Aura. Für das AEJP VABBA Raumspray aus dem „Essenzenladen“ zum Beispiel haben 17 Lichtarbeiter durch ein Channelmedium außerirdische Energie in Wasser, Brandwein, Rosenwasser und Grapefruitextrakt transferiert, so dass sich 50 Milliliter davon für 20,37 Euro zuzüglich Versandkosten verkaufen lassen. Die rechtlichen Hinweise gilt es freilich auch zu zitieren: „Alle Aura-Essenzen basieren auf dem Schwingungsprinzip und haben keine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung. Wir beschreiben ausschließlich feinstoffliche Energien und treffen keine Aussagen über die Wirkung der Essenzen.“ Blaming the victim: Wenn’s nicht hilft, haben Sie wohl nicht genug daran geglaubt; außerdem haben wir Ihnen ja nie was versprochen. |
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G-Hilfe
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April 2012 – Endlich ist er entdeckt, der sagenumwobene G-Punkt. Der vorgeblich erotische An-Schalter der Frau. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass just der G-Punkt-Finder auch gleich dessen künstliche Vergrößerung im seinem schönheitsoperativen Repertoire hat. Kommt aus den USA, wird aber auch in Deutschland bereits zahlreich angeboten. Das ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs der aktuellen Trends zur Manipulation des Faktischen auch im Intimbereich. Darunter tummelt sich inzwischen allerhand: Vaginalstraffung, Schamlippen oder Klitoris verkleinern, Venushügelfett absaugen und Anal bleaching (Hautaufhellung des Anus). Übrigens bei den Männern liegt auf Platz sieben der beliebtesten schönheitschirurgischen Eingriffe die Penisvergrößerung. Porn to be alive. |
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Schmerztherapie
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April 2012 – Der renommierte Neurobiologe Gerald Hüther weist in einem „Zwischenruf“ für das Denkwerk Zukunft [Link] darauf hin, dass es der Hirnforschung gelungen ist nachzuweisen, dass soziale Kränkungen die gleichen neuronalen Netze aktivieren, wie körperlicher Schmerz. Eine Erkenntnis, die sich, vielleicht nicht so krass, aber doch mit der menschlichen Alltagserfahrung deckt: In beiden Fällen muss man ab einer gewissen Intensität die Zähne zusammenbeißen, wenn man nicht schreien will. So weit, so nachvollziehbar. Dann gleitet Hüther ab ins Hypothetische, wenn er ausführt, dass eben jenes soziale Zähne-Zusammenbeißen dick und krank macht. Er unterstellt, dass eine herrschende „chronische“ Unterdrückung solch sozialer Schmerzen aus den Anfechtungen unseres vorgeblich ach so strapazierenden Gemeinwesens die sonstige Schmerzsignalgebung übertüncht, worauf das Körpergefühl verloren geht. Die Wirkung mag wohl richtig sein, nur die Ursache erscheint mir arg tendenziös vereinfacht. |
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Orientierungshilfe
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März 2012 – Ein Vortragsessay über richtige und wichtige Einstellungen in Schule, Ausbildung und Beruf: Das Leben ist kein Facebook-Spiel |
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Monkey Island VI
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März 2012 – Das Selbstverständnis von Torge Schmidt, Spitzenkandidat der PIRATEN für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein: „Ich bin Gamer und spiele hauptsächlich RPGs [Anm.: Role Playing Games] und Strategiespiele.“ (FAZ, 28.3.2012). Vielleicht sollte Herr Schmidt sich lieber in World of Warcraft zum König ausrufen lassen. Ums Kieler Parlament kümmern sich derweilen gerne Käpt’n Blaubär und Hein Blöd. |
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Utopia 2.0
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März 2012 – Für einen materiellen Wachstumsskeptiker wie mich ein verlockender Buchtitel: Gemeinwohl-Ökonomie (erweiterte Neuausgabe, Wien 2012). Gemeinwohl-Ökonomie, so beschreibt der Autor und Begriffspräger Christian Felber – romanischer Philologe und laut Klappentext freier Tänzer – aber tatsächlich einen Albtraum aller Verfechter einer offenen Gesellschaft. Als Gemeinwohl-Ökonomie entwickelt er ein neues Utopia und ersetzt Thomas Morus’ patriarchalische Herrschaft durch eine Gutmenschen-Volksdiktatur. Wie Morus baut auch Felber sein ganzes Wohlfahrts-Kartenhaus auf dem schmalen Grat seiner Überzeugung, der Mensch wäre hilfreich und gut – nicht auch, sondern ausschließlich. Er baut seine Traumwelt darauf, dass der Mensch, wenn man ihm es nur nett genug beibrächte, sich allein an „Vertrauensbildung, Ehrlichkeit, Wertschätzung, Respekt, Zuhören, Empathie, Kooperation, gegenseitigem Helfen und Teilen“ orientieren würde. Keine Frage, das sind tragende Werte unserer Zivilisation, aber eben nur die eine von zwei Seiten unseres evolutionären Erfolgsprogramms. Die andere Seite unserer Natur entspringt dem Kampf um Nahrung, Fortpflanzung und Status und treibt uns zum Wettbewerb, reizt den Ehrgeiz, verlangt uns Zähigkeit, Entbehrung und Leistung ab, erfüllt uns mit Stolz und zwingt uns aus Verantwortung für die Familie, für die Gemeinde, für die Zukunft auch unbillige Härten gegen die Mitmenschen ab. – In uns herrschen Antigone und Kreon, und selbst Antigone wird von Sophokles nicht ohne Stolz gezeichnet. – Von der dritten, der dunklen Seite des Menschen, Hass, Eifersucht, Zorn, Triebhaftigkeit, Gier et cetera, ganz zu schweigen. |
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Napfkuchen
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Februar 2012 – Nachtrag zum letzten November: 40 Hundebäckereien sind es inzwischen allein in Bayern. Wem das zu profan ist, bestellt bei der Hundekonditorei: Leberwurst-Croissants, Seelachs-Trüffel, Lachs-Spinat-Krokant, Karotten-Kokos-Makronen, Käsetraum-Lollis, handgemacht, 100% Natur. Und nicht vergessen, Ostern steht vor der Tür, da dürfen Herrchen und Frauchen ganz besonders einen am Keks haben: Rindfleisch-, Käse- oder Leberwurst-Häschen, Hundeschokoladenhase oder schlicht Pralinen – vier Stück (70g) im Holzkistchen zu 8,90 Euro. Das Leben ist ein Leckerlie. |
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Wetten dass..?
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Februar 2012 – Der weltweite Gesamtwert von Derivaten übersteigt das globale Bruttoinlandsprodukt um sage und schreibe das Zehnfache. Unter dem Begriff Derivate sind alle Finanzprodukte zusammengefasst, die Wetten auf die Zukunft beinhalten (Futures, Optionen, Swaps). Derivate schaffen keine Investitionen, sie verlagern ausschließlich Risiken – risikofreudige Marktteilnehmer greifen risikoscheuen unter die Arme. Eliminiert werden die Risiken dadurch natürlich nicht, sondern es sind Nullsummenspiele: das was einer gewinnt, verliert ein anderer. Es wird nichts geschaffen, es geht nur darum Geld von vielen Dümmeren zu wenigen Cleveren zu schaufeln. Die mehrwertlosen Geschäfte boomen: 1998 betrug der Nominalwert aller Derivate weltweit noch 81 Billionen US-Dollar, 2010 waren es 605 Billionen US-Dollar. Offensichtlich finden sich immer mehr Dümmere. |
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Und die Mutter blicket stumm
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Februar 2012 – „Mit dem iPhone hätte Phillip nicht gezappelt“ titelte die Welt HD unlängst und stellte dabei sämtliche Kausalitäten auf den Kopf. Die verwegene These: „Wenn Kinder keine Ruhe geben, lohnt es sich für Erwachsene, den Kleinen ihr iPhone zum Spielen zu überlassen. Denn schon Eineinhalbjährige spielen gern mit einem Smartphone.“ Tatsächlich reden wir von der Mobilisierung der bildschirmmedialen Verblödung, die stationär schon schwer im Verdacht steht eben jenes Zappeln zu befördern, in ihrer elektronischen Zweidimensionalität aber in jedem Fall die frühkindliche Erfahrungswelt extrem verarmt. Apps kann Kind nicht hinterschauen, nicht riechen, nicht schmecken, nicht anfassen, nicht ablutschen, daran nichts verändern oder darin sonst einen Einfluss jenseits stupider, vorgedachter Computerspielmuster nehmen. Selbst nölende Langeweile ist lebensspannender. Aber anstrengender für die Eltern. Und genau daher weht der Wind der Inflation mehr oder weniger pädagogisch wertvoller Kinderruhigstellungsapplikationen. Es ist die Verweigerung einer biologischen Selbstverständlichkeit, sich Zeit für den fordernden Nachwuchs zu nehmen. Schauen wir auf ein offenbarendes Beispiel aus dem Welt HD-Artikel: |
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Echt gaga. |
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Ausgelutscht
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Januar 2012 – Wem jetzt das Lutschen eines Bonbons zu aufwendig erscheint, sprüht sich vorgeschnulltes Candy-Spray in den Mund. Ein paar Milliliter Soße aus Süßstoff, künstlichen Aromen und einigen E-Nummern im Plastikfläschchen mit Pumpzerstäuber. Alternativ auch Doppel-Candy-Spray, Candy-Schaum-Spray oder Light-up-Candy-Spray, das auf Knopfdruck im Dunkeln leuchtet. Das Leben ist halt kein Zuckerlecken. |
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Die Freiheit nehm' ich mir
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Januar 2012 – Steinkühlerpause war gestern, heute ist Facebook. Jeder zehnte deutsche Arbeitnehmer ist länger als fünf Stunden pro Woche während der Arbeitszeit privat auf Facebook (Quelle: youCom GmbH, Hürth) – das macht rund 27 Arbeitstage im Jahr. Mal eben so den Urlaub verdoppelt. Ein Drittel facebookt ein bis zwei Stunden während der Arbeit, auch noch rund 8 Arbeitstage im Jahr. Das Verständnis einer Arbeitsethik als Selbstverpflichtung, weil man in seinem Beruf etwas zu schaffen beabsichtigt, schwindet offenbar. Oder sei es nur das profane Gefühl der Verpflichtung, eine Gegenleistung für den empfangenen Lohn schuldig zu sein. |
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Feierfreier Sonntag
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Januar 2012 – Mit Urlaub und Feiertagen kommen die deutschen Arbeitnehmer auf durchschnittlich 40 bezahlte freie Tage. Für die einen ist das der längste Urlaub der Welt, für die anderen einfach selbstverständlich. So selbstverständlich, dass daran doch, bitte schön, ein banaler Kalender nicht einfach etwas ändern darf. Verfügt das Kalendarium eigenmächtig den Feiertag auf einen ohnehin arbeitsfreien Sonntag, müsste man ja an diesem Tag doppelt frei machen. Das kann nicht angehen, meint DIE LINKE, und fordert, die Hälfte des Freimachens, die an jenem Sonnfeiertag nicht untergebracht werden konnte, werktäglich nachholen zu dürfen. Zur Begründung zieht Sabine Zimmermann, die arbeitspolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag, Artikel 140 des Grundgesetzes heran. Darin steht: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ Ihr scheint dementsprechend nicht zumutbar, die sonntägliche seelische Erhebung mit den Anstrengungen eines Feiertages zu belasten. |
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Schöne bunte Warenweltkulisse
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Januar 2012 – Der ehrbare Kaufmann, jemand möge es mir bitte sagen, wo ist er geblieben? Der Kaufmann, der nicht vor lauter Gier dem eigenen Lug und Trug begeistert selber Glauben schenkt. Der Kaufmann, der stolz ist, und zu dessen Stolz es gehört, die hochgehaltene Moral nicht dem Profit zu opfern. Der Kaufmann, der sein Produkt um seiner Produktidee willen verkaufen mag, nicht weil er die Schachtel schön angemalt und wohlklingend beschriftet hat. Pfui Teufel, jedem Ehrhaften käme die Galle hoch, wenn er Mist in bunten Kistchen verscherbeln sollte. |
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Gut bedient
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November 2011 – Abiturienten lassen sich die Abschlussfeier komplett von professionellen Agenturen organisieren, Eltern blättern hunderte, wenn nicht gar tausende Euro für rückstandsfreie all-inclusive Kindergeburtstage hin, selbst Kommunion und Konfirmation sind schon massentauglich zu bedienbaren Events avanciert. Auch Geschenke muss man sich nicht mehr selber einfallen lassen, man lässt sich von den Vorschlagslisten der Onlineshop-Algorithmen leiten oder beauftragt hauptamtliche Geschenkideenhaber. Wer was erleben will, geht zur Erlebnisagentur und wählt unter zig „ausgefallenen“ Erlebnissen aus. Wer sich gesund halten will, lebt nicht einfach gesund, sondern geht zum Wellness. Wer ein Problem hat, sucht es nicht zu lösen, sondern trägt es von Therapeut zu Therapeut. Lebt ihr auch oder bucht ihr nur? |
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Backe, backe Hundekuchen
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November 2011 – Der Hunde-Brunch ohne künstliche Konservierungs- und Aromastoffe, tierische Bioläden, die Hunde-Bäckerei – „Leckerlies direkt aus der Backstube“. |
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Ob man da sonntagmorgens auch frische Hundebrötchen bekommt? Der moderne dog life style baut jedenfalls fest auf Frische. Die über fünf Millionen Hundehalterhaushalte in Deutschland wissen offensichtlich nicht mehr wohin mit ihrem Geld und gehen immer öfter mit dem Bello auf ein Hundebier zur Hundewurst in den Hunde-Imbiss. Menschenfutter macht derweilen nur noch gut ein Zehntel des privaten Verbrauchs aus, in den Siebzigerjahren war es ein Viertel. Ein ganzes Hähnchen ist uns heute bratfertig tiefgekühlt gerade einmal zwei bis drei Euro wert (nebenbei: bei vollem Bewusstsein des gesunden Menschenverstandes, dass solche Preise nur mit vollautomatisierter Tierquälerei machbar sind). Endgültig pervers wird diese Schizophrenie des boomenden Bio-Frische-Hundefutter-Trends angesichts weltweit 925 Millionen Hungernden. Der Vergleich mag unlauter erscheinen, bei Hundemenüs wie „Rehwild mit Schupfnudeln, Zucchini und Marone & Thymian“, „Gans mit Kartoffel, Möhre und Erbsen & Kürbis“ oder „Kaninchen mit Kartoffel und Löwenzahn“ und „Känguru [nur] mit Kartoffel“ drängt sich einem, wenn man sich auch nur einmal kurz besinnt, der Vergleich mit den Hungerleidern dieser Welt unweigerlich auf. Oder dass ein Drittel der Weltbevölkerung mit meist nicht viel mehr als einem Napf Reis pro Tag auskommen muss. |
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Mit Haut ohne Haar
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November 2011 – Beim EKG blickt die MTA erstaunt auf meine, wenn auch nicht viel, aber doch behaarte Brust, die sich dann auch erwartungsgemäß widerborstig gegen die Haftung der Elektroden sträubt; das hätte sie nun wirklich schon länger nicht mehr gehabt. Mit unrasiertem Oberkörper gehöre ich offenbar zu einer aussterbenden Rasse. Selbst im Intimbereich rasieren oder enthaaren sich immer mehr Männer – „ein glatt rasierter Unterleib ist bei Jugendlichen längst Mainstream“, so ein Sexualpädagoge von pro familia. 42 Prozent der männlichen Bravo-Leser rasieren sich regelmäßig die Schamhaare (berichtete die ZEIT schon 2009), rund die Hälfte der 18- bis 25-jährigen Männer meint die Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Leipzig, die „Schamregion unterliegt fortan einem Gestaltungsimperativ“. Dass dann bei den Jungs auch die Achselhaare weg müssen, versteht sich – die österreichische Krone-Zeitung hat gefragt: 58 Prozent der unter 30-Jährigen waren es. Hygienische Begründungen gibt es für all das im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts natürlich nicht. Es geht allein um eitlen Schein. In diesem wachsenden männlichen Enthaarungsfetischismus changiert Schönheitsbewusstsein gefährlich in Richtung Narzissmus – die unverhältnismäßig hohe Selbstbeachtung. Die wachsende Konzentration auf sich selbst und da nur auf die Äußerlichkeiten. Der mythologische Narziss ertrank in seiner Selbstverliebtheit. Das deutsche Volksmärchen hat solcherlei zerstörerischen Selbstwahn dann vornehmlich aufs weibliche Geschlecht projiziert, „Spieglein, Spieglein an der Wand …“. Zu Unrecht wie sich heute zeigt. |
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Moralpredigt
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November 2011 – Verantwortung ist der überragende Begriff in dem jüngst von der Deutschen Bischofskonferenz der katholischen Kirche herausgegebenen Leitbild für eine freiheitliche Ordnung Chancengerechte Gesellschaft (27. Juni 2011). Genauer sind es sogar vier Verantwortungen: Eigenverantwortung, die Verantwortung des Einzelnen für das Gemeinwesen, die Verantwortung des Gemeinwesens für den Einzelnen und die Verantwortung des Gemeinwesens für das Gemeinwesen; in eben dieser Reihenfolge. Grundlage allen gesellschaftlichen Daseins ist: „Jeder muss seine Begabungen und Potentiale zur Geltung bringen und sich immer wieder seiner Verantwortung für das eigene Leben stellen. Er steht in der Pflicht, die ihm gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, bevor er Hilfe durch die Solidargemeinschaft in Anspruch nimmt.“ Wer Teil der Gesellschaft sein will kann sich als nächstes auch nicht seiner Verpflichtung für eben diese entziehen. Das reicht vom verantwortungsvollen Umgang mit den Mitmenschen im privaten wie im beruflichen Umfeld bis zur ausdrücklichen Mitverantwortung des Einzelnen für die Ordnung des Ganzen. Es ist bezeichnend, dass die Bischöfe diese beiden Dimensionen voran stellen, grenzen sie doch damit explizit die dritte Verantwortung, nämlich die gesellschaftliche Verantwortung gegenüber dem Einzelnen, klar ein. Selbstverständlich hat in einem humanen und zukunftsfähigen Gemeinwesen die institutionalisierte Gesellschaft, also „der Staat“, Verantwortung für seine Bürger, aber eben nicht als Befreier von der individuellen Verantwortung, sondern als Befähiger zur Eigenverantwortung. Ein freier Staat ersetzt nicht das Verantworten-Wollen, sondern fördert das Verantworten-Können. Und er schafft, das ist die vierte Dimension, Institutionen und Ordnungen, die das über Generationen und in einer nur begrenzt veränderbaren Schöpfung (Umwelt) sicherstellen. |
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Schulschwänzer
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Oktober 2011 – Gerade einmal vier Wochen nach den Sommerferien unternimmt das Kollegium eines Gymnasiums hier bei uns einen Personalausflug, um „etwas Abstand vom Alltag zu gewinnen“. Derselbe ist offenbar von einem arg unpersönlichen Nebeneinander statt Miteinander geprägt, denn der Ausflug soll auch einmal „der persönlichen Seite Raum geben“. Nun, solcherlei Begründungen könnte man leicht als etwas unglücklich ausgedrückt ad acta legen. Dass für diesen Spaß aber an der ganzen Schule die fünfte und sechste Stunde sowie der Nachmittagsunterricht entfallen, lenkt den Ärger dann doch auf derart fadenscheinige Rechtfertigungen: Sollen die Herr- und Damenschaften LehrerInnen doch bitte Ihren Abstand vom Alltag an 52 Wochenenden, in 14 Wochen Ferien oder an diversen zusätzlichen Feiertagen gewinnen und der persönlichen Seite vielleicht mit ein wenig mehr alltäglicher Zusammenarbeit Raum geben. Dem Ganzen die Krone setzt die Schulleiterin noch auf, wenn sie schreibt, dass sich die Schülerinnen und Schüler auf einen verkürzten Schultag freuen dürfen. Das ist dann so, wie wenn der Zahnarzt sagen würde, man könne sich freuen, es tue weniger weh, er bohre die Karies nur zur Hälfte raus. |
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Wenn zwei an einer Leine ziehen
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Oktober 2011 – Der umgreifenden Ersatz von Kindern durch Haustiere wirkt sich inzwischen auch im Rechtswesen aus: einem geschiedenen Ehepartner bewilligte ein Gericht ein wöchentliches Umgangsrecht mit dem Hund, auf den man ehemals gemeinsam gekommen waren. |
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Heidi reloaded
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Oktober 2011 – Bericht einer Selbstgeißelung: eine Folge Die Alm – Promischweiß und Edelweiß, Pro Siebens unsäglichem Verschnitt von Big Brother mit Living History und dschungelcampschen Pseudomutproben – ach ja und nicht zu vergessen die unübersehbare Anleihe bei den Scripted Realities der Doku-Soaps: Gespieltes so tun als ob es echt wäre – da schaut die Wirklichkeit nicht nur aus wie schlecht gespielt, sie ist es (bei den schauspielerischen Fähigkeiten von Kathy Kelly, Werner Lorant, diversen Castingshow-Sternchen und Call-in-Gewinnspiel-Moderatorinnen kein Wunder). Bei solcher Unbedeutendheit der Teilnehmer kommt in den zumeist über gerade Abwesende lästernden Dialogen eine Art zweitklassiges Goldenes-Blatt-Flair auf – quasi ein Schulungsvideo für Aspiranten einer großen Karriere als Dauergäste in Friseursalons, Nagelstudios und Therapiewartezimmern. Das ließe nun aber vermuten, dass man sich als Zuseher wenigstens an der Realsatire erheitern könnte: Hat man das Fremdschämen einmal verwunden, lässt sich über solch laufende Offenbarungen der gegebenen Dämlichkeit der Protagonisten ja tatsächlich amüsieren. In Wirklichkeit ist das ganze Format getränkt von gähnender Langeweile: Erörterungen der Tiefenreinheit von Handwäsche, des geeigneten Schuhwerks für unebene Dielenböden, warum man ein Kalb nicht melken kann, Tattoos, Schokoladensüchtigkeit, irritierte Haut, die almeigenen Sonnenterassen, Kaffeepeeling, Schönheitsschlaf, heruntergelassenen Unterhosen und natürlich das (oh Wunder, stets herrliche) Wetter. Unterbrochen allerdings von den sinnfälligen Anmerkungen des landhausmodenbewehrten Moderatorenpaars Janine Kunze und Daniel Aminati: „Ja so ein Hoden im Mund ist auch unangenehm.“ – „Ach komm so’n Hoden im Mund ist doch für dich nichts Neues.“ |
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Ein demokratischer Lichtblick
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Oktober 2011 – In der Bundestagsdebatte um den Euro-Rettungsschirm (EFSF) hat Bundestagspräsident Norbert Lammert jüngst jeweils einem Abweichler in der Unions- und in der FDP-Fraktion Rederecht eingeräumt. Von ihren eigenen Fraktionen waren sie abgewiesen worden. Nach deren Willen sollte im Plenum eitel Sonnenschein der Einigkeit herrschen. Allein die ganz Linken hätten dann dagegengehalten. Tatsächlich hatten auch die Koalitionsfraktionen schwer um die richtige Position gerungen und es waren eben einige partout nicht auf die Regierungsräson einzuschwören – keinesfalls leichtfertig oder profilierungsneurotisch und durchaus mit mannigfaltiger fachlicher und öffentlicher Zustimmung. In der öffentlichen Debatte sollten die aber per Geschäftsordnung des Bundestages mundtot gemacht werden. Das hat Lammert verhindert. Bravo. Ein Sieg des Parlamentarismus. Lammert handelte auf äußerst dünner rechtlicher Basis, umso fester ist seine moralische. Was wäre das für ein demokratisches Parlament, das bei derart weitreichenden Entscheidungen (eine deutsche Haftung von 211 Milliarden Euro – ungehebelt – und die Währungsstabilität des gesamten europäischen Wirtschaftsraums betreffend) in einer so undurchschaubaren Situation, dass sich kein redlicher Experte wirklich eine Prognose traut, was wäre das für ein demokratisches Parlament, das da nicht im Entscheidungsmoment wirklich noch einmal alle Argumente zu Wort kommen lässt, bevor es unser Schicksal besiegelt. Lammert hat sich einmal mehr gegen die grassierende Kabinetts- oder besser Koalitionsausschuss-, wenn nicht gar Kanzler-Autokratie gestemmt. Nicht um der Kanzlerin zu schaden. Nicht um sich für die eine oder andere Seite einzusetzen. Sondern um unsere demokratische Verfassung zu bewahren. Um dem pluralistischen Wettstreit der Ideen den nötigen Raum zu geben – der einzigen Chance den richtigen Weg aus dieser unfassbar komplexen Krise zu finden. |
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Freight-Watchers
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September 2011 – Es ist ja schon ein wirklich überbemühtes Bild, die Ankunft des orwellschen Big Brothers in der Gegenwart. Für das was das Verkehrsressort der Europäischen Kommission gerade vorhat, muss es aber doch einmal mehr herhalten. Zu gut passen die Brüssler Ideen zu Orwells Grauen vor der unheilvollen Allianz zwischen Totalitarismus und Hochtechnologie: In einem Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung [sic!] schlägt die Kommission am 19. Juli 2011 – Gesetzgebungsverfahren 2011/0196 – vor, dass die Standorte von Lastkraftwagen und Bussen künftig via GNSS (Globales Navigationssatellitensystem) automatisch lückenlos verfolgt und aufgezeichnet werden sollen und die elektronischen Fahrtenschreiber (Lenk- und Ruhezeiten, Geschwindigkeit) in den Fahrzeugen jederzeit per Fernabfrage ausgelesen werden können. Nicht mehr und nicht weniger als die Totalüberwachung von Berufskraftfahrern also. Wenn schon Orwell, dann scheint mir, wäre da doch eher eine Gedankenpolizei für Kommissionsbeamte vonnöten oder vielleicht einfach ein wenig Nachhilfe in den demokratischen Grundprinzipien unserer Gemeinschaft, nach denen man in den Menschen zuerst einmal Staatsbürger und nicht Verbrecher sieht, Souveräne und nicht verantwortungslose Untertanen. Weil man jemand zu dem macht, wie man ihn behandelt. |
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Links-Progression
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September 2011 – Staatlich garantierter Mindestlohn, staatliches bedingungsloses Grundeinkommen, staatlich finanzierter kostenloser öffentlicher Personennahverkehr, staatlich bereitgestellte kostenlose Kitaplätze – Staat-as-Staat-as-can! Solcherlei Überzeugungen und Versprechen haben die Berliner gerade mit absoluter Mehrheit (wieder)gewählt: Im neuen Abgeordnetenhaus sitzen dreiviertel dezidiert linke und sozialistische Volksvertreter – inklusive der ach so hoch gelobten jungen „demokratischen“ Kraft, den Piraten, deren Spitzenkandidat (und jetzt Fraktionsvorsitzender) im Interview die Berliner Verschuldung auf „viele, viele Millionen“ geschätzt hatte. Und deren Parteigänger sich in der realen Welt gerne vom Staat umfassend bekümmern lassen wollen, damit sie sich ungestört in eine möglichst staatsmachtlose virtuelle Welt verkriechen können; mehr billigen Opportunismus gab es selten in einer Partei. |
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Fliegenfalle
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September 2011 – Auf seiner Webpage bietet er ein Verzeichnis ausgewählter Anbieter für „Astrologie, Energiearbeit, Heiler, Heilpraktiker, Lebensbegleitung und Numerologie“ – letzteres die Kunst der Weissagung aus der Symbolik von Zahlen, zum Beispiel in den Ziffern des Geburtsdatums. Drumherum blinkt Werbung für kosmische Jungbrunnen, gespeicherte Wort-Informationen auf Edelsteinwasser zur Früherkennung und Ausleitung von Störimpulsen und zur Stabilisierung der Organ-Energien in den äußeren Energiefeldern (Auswahl von 204 Testern für 4.920,- Euro zuzüglich Mehrwertsteuer), Ausbildungsseminare zum Schöpfer Ihres Lebens und spirituellen Coach (2.800,- Euro), Algentabletten zur Krebszellenabwehr (nehme ich zumindest an, wörtlich heißt es beim Anbieter „Antikrebszellenabwehr“) oder die SeelenTor-Essenz, |
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ein Auraspray zur Harmonisierung der Aura, sehen Sie selbst (die Aura links ohne, rechts mit der SeelenTor-Essenz). |
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Leben Sie, wir kümmern uns um die Details
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August 2011 – Eine selbstverschuldete und -geduldete Herrschaft macht genauso unfrei wie gewaltsame Unterdrückung. Sicher subtiler, unmerklicher, vermeintlich weniger behindernd. Zumal dann, wenn die Beherrschung nicht an Personen festgemacht werden kann, sondern einfach nur System ist, dem irgendwie alle unhinterfragt folgen. Zumal dann, wenn die herrschenden Dogmen wirklich nur frohe Botschaft verkünden und es den Untertanen dabei ausgesprochen gut geht. Die SPD spricht in Ihrem Grundsatzprogramm von der „stolzen Tradition des demokratischen Sozialismus“. Zwei Aufsätze darüber, wie wir dabei sind unsere Freiheit für die Bequemlichkeit zu verschenken: |
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Wer? Wie? Was?
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August 2011 – Im Vorfeld der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern hat der Nordkurier die Bürger von Emnid nach der Beliebtheit der regierenden Politiker befragen lassen. Dabei ging es auch schlicht darum, ob die Mecklenburger und Pommern ihre Volksvertreter überhaupt kennen. Eher mehr weniger. Nun, beim Justizministerium wird so mancher auch andernorts passen müssen, in MV kannten allerdings fast drei Viertel die seit 2006 amtierende Uta-Maria Kuder nicht. Henry Tesch, ebenfalls seit 2006 Kultusminister, war mehr als der Hälfte unbekannt (bei 14,1 Prozent Schulabgängern ohne Abschluss eigentlich ein Mann, der im Kreuzfeuer des öffentlichen Interesses stehen müsste). Die Sozialministerin Manuela Schwesig, immerhin stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD und als deren Verhandlungsführerin um von der Leyens Bildungspaket für bedürftige Kinder zuletzt medial bundesweit äußerst präsent, kannten 39 Prozent der Befragten nicht. Da wundert es dann auch kaum noch, dass jeder Zehnte nicht wusste wer Erwin Sellering ist (2000 bis 2006 Justizminister, danach Sozialminister und seit 2008, noja, Ministerpräsident). |
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Alea iacta est
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August 2011 – Wer hat die Würfel aus dem Käse gemacht? Für alle, die heute nicht mehr sicher mit Messer und Gabel umgehen können, gibt es den Käse bei ALDI schon vorgewürfelt. Discount your life. |
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Tretboot in Seenot
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Juli 2011 – Auch auf dem Wasser schreitet die Elektrifizierung aller menschlichen Bewegungsmöglichkeiten voran: das Tretboot mit Elektronantrieb ist erfunden. Im BionX SeaScape 12 tritt ein Elektromotor mit in die Pedale. Am Brombachsee soll so was schon bald in den Verleih kommen. |
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Völlig losgelöst
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Juli 2011 – Jeder fünfte Arbeitnehmer, 21 Prozent der Beschäftigten haben „keine emotionale Bindung an ihr Unternehmen“ und „verhalten sich am Arbeitsplatz destruktiv, d.h. sie zeigen unerwünschtes Verhalten“. Das hat der seit 2001 jährlich per repräsentativer Stichprobe erhobene Engagement Index der Gallup GmbH für 2010 ergeben. Weitere 66 Prozent weisen „lediglich eine geringe emotionale Bindung auf“, die leisten laut Gallup allenfalls Dienst nach Vorschrift. Dabei geben sich die deutschen Arbeitgeber wirklich Mühe, ihren Angestellten zu gefallen. Durchschnittlich 30 Tage bezahlten Urlaub gewähren sie – das ist ziemlich einsame Spitze in Europa. Bescheidene 37,7 Stunden war 2010 die durchschnittliche tariflich vereinbarte Wochenarbeitszeit in Deutschland. Wenn einem die Arbeit so leicht gemacht wird, sollte man sich ein bisschen Loyalität erwarten dürfen, oder? Ganz zu schweigen davon, dass man meinen möchte, dass den Menschen an ihrer menschlich unerlässlichen Notwendigkeit des Broterwerbs ein bisschen was gelegen sein sollte. Noch nicht einmal aus Dankbarkeit gegenüber jemanden, der bereit ist die Risiken und Anstrengungen auf sich zu nehmen, die mit dem Unternehmertum unweigerlich verbunden sind, sondern allein weil man weiß, dass man nur verdienen kann, wenn man etwas geschafft hat. Einmal mehr überkommt mich der Verdacht, dass sich ein wachsender Teil der Bürgerschaft gedanklich aus dem richtigen Leben ins real existierende Schlaraffenland gebeamt hat. Can you hear me, Major Tom? |
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Er schaut dich an
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Juli 2011 – Manchmal ist es doch zu etwas gut, wenn man BILD liest. Hätte ich sonst je etwas von Braco – sprich „Brath-zoh“ – erfahren. Braco der Wunder-, der Geistheiler (was er tunlichst vermeidet, von sich selbst zu behaupten – ausführlich lässt er allerdings darüber berichten, dass andere ihn für einen solchen halten). Braco, der sich einfach ziemlich belämmert guckend, vollkommen stumm auf Bühnen stellt. Und die Leute kommen, um sich gesund starren zu lassen. Kein gezielter Augenkontakt, sondern so ganz allgemeines Herumgeglotze. Man braucht quasi nur von seinem Blick gestreift zu werden. Für fünf Euro (in den USA acht Dollar), keine zehn Minuten. Wer selber keine Zeit hat, kann sein Foto anstarren lassen. BILD war jüngst beim Anglotzen in Esslingen dabei. Da kamen 4.000. In München waren es im Februar angeblich 6.700. Wem das live-Starren nicht genügt, kann sich danach noch Braco-DVDs, Braco-Bücher oder ein Braco-Foto (80 Euro) kaufen (laut den drei Phasen von Bracos Wirkung auf seiner Webpage, sollte man in Phase zwei nach dem Besuch seine Filme gucken – „Die zweite Möglichkeit ist das Wiedererleben der Begegnung mit Braco durch seine Filme. Diese Wirkung basiert auf dem Prinzip der Resonanz, was sogar wissenschaftlich nachgewiesen ist.“ – und in der dritten Phase Bücher über ihn lesen: „Warum ist gerade das so wichtig? Weil unsere Gesellschaft voller Zweifel und Misstrauen ist und diese Berichte Ihnen zeigen, dass auch Sie sich darüber hinwegsetzen und dass Sie auf diesem Weg sehr viel bekommen können, vielleicht sogar mehr, als Sie erwarten.“). So indoktriniert verstärken sie ihr Angeglotzdasein dann auch gerne mit ein wenig Braco-Heilschmuck (80 bis 150 Euro). |
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Mach mir das vom Fuß weg
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Juli 2011 – Fisch-Pediküre ist der neue Trend der Beautybranche. Man streckt seine Füße ins Goldfischglas und lässt sich die Hornhaut von türkischen Kangalfischen abknabbern. So long and thank’s for the fish. |
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Zunder geben
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Juni 2011 – Nun ist es dahin, das letzte Ur-Gen im Manne, das letzte Rudiment des aufrechten Jägers, die evolutionäre, instinktive Beherrschung eines vordem unbeherrschbaren Elements. Das Zeitalter der selbstentzündenden Grillkohle ist angebrochen – einmal kurz das Feuerzeug hingehalten und die Glut entfacht und erhält sich ganz von selbst ohne jedes Zutun. „Die Feuerpracht / Gibt mir die Macht / Genau zu sein wie du“, sang einst der Orang-Utan King Louie in Walt Disneys Dschungelbuch, um vom entführten Mogli das Geheimnis des Feuer-Machens zu erpressen; „Ein Affe kann kann kann/ Sein wie ein Mann/ So ein Mann wie duhuhu“. Das Pendel der Zeit schwingt zurück, wir machen uns heute lieber selber zum Affen. |
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Rosskur
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Juni 2011 – Auch die Pferde sind bei uns schon auf den Hund gekommen und müssen bei Leiden, Widerborstigkeit oder schlichter Unfähigkeit ihrer Halter und Reiter zunehmend Fragwürdiges – wie Globuli- oder Blutegel-Behandlungen – bis vollkommen Unsinniges – wie Reiki oder Tieraufstellungen*) – über sich ergehen lassen. Die Zeitschrift Cavallo hat im September 2010 einer besonders grassierenden Sorte von Quacksalbern auf die Hasenpfote geschaut, den Tier-Telepathen. Denen genügen vorgeblich ein Foto, ein paar Infos zum Pferd und vielleicht ein Telefonat mit dem Halter respektive der Halterin – denn tatsächlich ist die Kundschaft meist weiblich –, damit sie mit dem Tier in geistigen Dialog treten können, um dem Besitzer die Gedanken und Nöte des Pferdes zu offenbaren. Dass sich die Aussagekraft solcher „Fernfühlerei“ auf dem Niveau von Horoskopen in der Fernsehzeitung, Glückskeksen und Wahrsage-Automaten auf der Kirmes bewegt, vermutet der gesunde Menschenverstand unmittelbar (ganz abgesehen davon, dass beim Großteil aller Tiere die Sprachfähigkeit nicht über ein instinktives Signalverhalten hinausgeht oder dass sie überhaupt ein reflektierendes Ich-Bewusstsein hätten), Cavallo hat’s auch noch bewiesen und testete neun Tier-Telepathinnen (auch die Anbieter sind eher weiblich). Da widersprechen sich unterschiedliche Telepathinnen diametral (die eine meint, dass die Stute Flynn „die Zirkusarbeit und freie Spiele … sehr liebt“, die andere „Zirkus findet sie dagegen langweilig“), außer Allgemeinplätzen und Offensichtlichem stimmt wenig mit den Erfahrungen der Pferdebesitzer überein (der neugierige, aufdringliche Wallach Donald wird zum Beispiel als reserviert und menschenscheu eingeschätzt), es werden abstruse bis gefährliche Behandlungstipps gegeben („einen heilenden Bernstein in der Mähne“ – „schickt Engel-Energie, die die Heilung unterstützen soll“), ein vor drei Jahren verstorbenes Pferd „bewegt sich gern“ und eine zu einem Foto erfundene Stute möchte „Spaß haben“ und „kleine Tricks lernen“, das auf dem Foto aber ein Wallach abgelichtet ist, fällt nicht auf. |
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Ist der Ruf erst aufpoliert …
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Juni 2011 – Als Kunde der Deutschen Telekom setzt man allein schon, weil man Telekom-Produkte nutzt, „ein Zeichen für den Klimaschutz“: „So leisten Sie einen wichtigen Beitrag zu unserem Engagement für die Umwelt, unsere Mitmenschen und nachfolgende Generationen.“ Damit diese fragwürdige Selbstbeweihräucherung auch allen Telekom-Kunden wirklich bewusst wird, verschickt das Unternehmen extra Briefe an seine Kunden, einschließlich einer Dickes-Papier-Broschüre mit nicht viel mehr als eben dieser Aussage (die zudem nicht einmal auf Papier aus nachhaltigen Produktionsschienen – wie zum Beispiel FSC-zertifizierte – gedruckt ist). Ein verblüffend offensichtliches Eingeständnis, wie wenig das Unternehmen das eigene Motto „Gemeinsam nachhaltig handeln.“ tatsächlich ernst nimmt. Es geht hier nicht um die Selbstverständlichkeit nachhaltiger Wertvorstellungen, sondern um ein möglichst absatzträchtiges Image. Nicht die Werte bestimmen das Wirtschaften, sondern das Marketing bestimmt die lukrative Ethik. Man hat keine Moral, man gibt sich einen Corporate-Responsibility-Kodex (der andernfalls vollkommen überflüssig wäre, weil da die wertegebundene Verantwortlichkeit sowieso ursprünglicher und unbedingter Bestandteil der Unternehmensführung ist). |
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Gaudeamus igitur
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Juni 2011 – In einem Interview mit dem KulturSPIEGEL (Ausgabe 6/2011) redet der Philosoph(ieprofessor) Robert Pfaller vehement dem Genuss als einzigen Sinn des Daseins das Wort. Das Lohnenswerte am Leben reduziert er auf Banalitäten wie eine Zigarette beim Kaffee oder Ballspielen an einem Sommerabend. Die Maßlosigkeit ist ihm dabei das erquickende Prinzip: „Glücklich sind wir, wenn wir mit Freunden trinken, rauchen, tanzen bis zum Umfallen.“ Zugleich verpönt er Zweck und Ziel und Aufgabe als Spaßbremsen. „Die Sinnfrage stelle ich bewusst nicht.“ Da hat nun offenbar die Trivialisierung auch schon die Philosophie erreicht, nach dem Motto: Ich frage nicht, dann vermisst auch niemand eine Antwort. Pfaller stellt die Realität gar auf den Kopf und versteigt sich, unsere Gesellschaft eine asketische zu nennen. So erteilt er der dekadenten Spätmoderne doppelt die Absolution. Er normalisiert die gegebene Moralfreiheit der Freizeit- und Spaßgesellschaft als vorgebliche Spießigkeit und befördert damit jede weitere Verspaßung und jeden zusätzlichen Müßiggang zur ethischen Glanztat. Dem Verkauf seines aktuellen Buches Wofür es sich zu leben lohnt ist das erwartungsgemäß zuträglich. Der Köder muss dem Fisch schmecken. Warum sich also mit schwerverdaulichen tiefschürfenden Seinsfragen herumquälen? |
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Elektro-Immobilität
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Mai 2011 – Es war wohl wirklich nur eine Frage der Zeit, der Trend beim Fahrrad geht ja schon länger eindeutig in Richtung Elektro-Fahrrad, im Einzelhandel füllen sie schon ganze Verkaufsräume. Das Nahen der endgültigen Pervertierung war dementsprechend beinahe absehbar: das E-Mountainbike. Alternativ gibt es inzwischen auch Haltevorrichtungen, damit man ein altmodisch unelektrifiziertes Mountainbike bequem im Sessellift mit auf den Berg nehmen kann. Wenn man jetzt sogar schon beim Sport Bewegung und Anstrengung zu meiden sucht, was wird uns da wohl noch alles bevorstehen: vielleicht E-Rollerblades, Jogging-Parcours mit Rollbändern oder |
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Ohne Worte
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Mai 2011 – Die alten Schätzungen der Stiftung Lesen zur Analphabetenrate müssen deutlich nach oben korrigiert werden. Das Bundesbildungsministerium hat eine neue Untersuchung vorgestellt: 7,5 Millionen funktionale Analphabeten gibt es in Deutschland; 7,5 Millionen erwachsene Deutsche, die beim Schreiben und Lesen zusammenhängender – auch schon einfacher, kürzerer – Texte scheitern, so dass sie in ihrer Sprachanwendung den gegebenen minimalen und als selbstverständlich erachteten gesellschaftlichen Anforderungen nicht gerecht werden. Weitere 13,3 Millionen zwischen 18 und 64 Jahren beherrschen die Rechtschreibung nicht einmal auf Grundschulniveau und lesen Texte mit gebräuchlichen Wörtern nur langsam und/oder fehlerhaft. Zusammen sind das 40 Prozent der deutschen Bevölkerung im Erwerbsalter. 40 Prozent, die in ihrem Alltag das Lesen und Schreiben, wenn möglich, vermeiden. (leo. Level-One Studie. Literalität von Erwachsenen auf den unteren Kompetenzniveaus, Prof. Dr. Anke Grotlüschen, Universität Hamburg 2011) |
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Frühkindliche Verziehung
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Mai 2011 – Das Magazin Glamour hat eine Fünfjährige auf die Liste der bestgekleideten Stars gewählt (Suri Cruise, die Tochter von Tom Cruise und Katie Holmes). Designerklamotten, High Heels und Make-up halten Einzug im Kindergarten. Voll im Trend daher auch Kinder-Wellness und Beauty-Anwendungen ab vier Jahren: einfache Fuß-, Hand- und Rücken-Massage, ayurvedische Körperölung, Cremepackungen im warmen Wasserbett oder ganz besonders „kindgerecht“ Schoko-Massage, Erdbeerquark-Maske, Schaumbad mit Gurkenbrille, Prinzessin Lillifee-Glitzermassage, Dornröschenpeeling, Schokosahne-Bad, Fred-Feuerstein-warme-Steinmassage und schließlich bei einem Gläschen Kindersekt auch Maniküre und Pediküre mit Nägellackieren, Wellnessfriseur und Schminken vom leichten Tages-Make-up bis zum Wimpernfärben. Von klein auf wird da eine Nachkommenschaft auf narzisstische Nutzlosigkeit konditioniert. Von klein auf wird ihnen die gegebene Leichtigkeit des (Kind-)Seins als Stress eingeredet, den man sich nur im Spa-Resort abkonsumieren kann. Mir graut vor einer Welt, die von lauter Barbies und Kens beherrscht wird. |
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Aus dem Landtag
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Mai 2011 – Eigentlich hätte ich es ja wissen müssen, habe ja sogar selbst schon darüber geschrieben, aber dann war es doch wieder ein Erschrecken ob dieses Trauerspiels der Demokratie: die Plenarsitzung gewählter Volksvertreter eine Bundeslandes. Warum trifft man sich überhaupt in „Voll“versammlungen und überträgt sie sogar live im Internet, wenn das Ganze doch nur als Abgesang des Pluralismus und der (Diskussions-)Kultur daherkommt. |
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Alter Egos
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April 2011 – Noch einmal Zahlen aus Society at a Glance 2011 der OECD: 2008 kamen in Deutschland auf einen Rentner (65+) drei Personen im Erwerbsalter (20 - 64 Jahre) – nur in Italien und Japan war die Situation noch trostloser; 2050 werden es nur eineinhalb im Erwerbsalter sein, die einen Rentner unterhalten müssen. Wer 2050 mit 65 in Rente ginge, wird zudem durchschnittlich noch weit über 20 Jahre leben. Ein selbsterhaltender Teufelskreis: Laut einer Studie des internationalen Wissenschaftsverbundes „Population Europe“ neigen Ältere und Kinderlose dazu, „eine Rentenpolitik zu bevorzugen, die der jüngeren Generation eine größere Last aufbürdet“. Dreimal verloren: Immer weniger Arbeitende sollen für immer mehr Rentner mitverdienen, die davon immer länger zehren und ihre Mehrheit für immer umfangreichere Leistungen einsetzen werden. Da ist uns offenbar ein Instinkt gänzlich abhanden gekommen: die Arterhaltung. |
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Stresstest
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April 2011 – Knapp siebeneinhalb Stunden verbringen die Deutschen durchschnittlich pro Tag mit Erwerbsarbeit (einschließlich Aus- und Weiterbildung) und unbezahlter Arbeit (wie Haushalt, Kinderbetreuung oder Altenpflege) – 445 Minuten täglich, der Rest ist frei. Das ist selbst im OECD-Vergleich äußerst wenig, in den USA sind es über acht Stunden, in Japan neun, in Mexico fast zehn. Im größeren Teil der restlichen Welt ist sowieso der ganze wache Tag von Arbeit geprägt und die Nacht zudem oft kurz. Denen muss es fast wie Hohn klingen, wenn der DGB-Vorsitzende Michael Sommer die deutschen Arbeitszeiten „familienfeindlich und gesundheitsschädlich“ nennt (gegenüber der WELT im September 2008). Kein Wunder, dass alle von Stress reden, bei solchen Souffleuren – mit Tatsachen hat das aber, wie man sieht, herzlich wenig zu tun. |
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Faites vos jeux!
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April 2011 – Nicht nur Finanzprodukte werden zu reinen Spekulationsgeschäften missbraucht, sondern immer öfter auch Nahrungsmittel. Warentermingeschäfte, die Vereinbarung einer Lieferung in der Zukunft zu einem heute fest gelegten Preis, sind schon lange Usus in der Nahrungsmittelbranche. Ursprünglich dienten sie der Preissicherung, für planbare Kosten- und Leistungsstrukturen bei Produzenten und Lieferanten. Mehr und mehr werden die Rohstoffe aber gehandelt, ohne dass von den Akteuren überhaupt ein Interesse an den Waren an sich besteht. Die Nahrungsmittel werden Gegenstand reiner Spekulation ohne realwirtschaftlichen Hintergrund. „So werden beispielweise 3,4 Millionen Tonnen Kakaobohnen im Jahr geerntet, aber etwa 60 Millionen Tonnen gehandelt“, berichtet die ZEIT vom 24. Februar 2011. Die gesamte Ernte wird also 18 Mal verkauft und gekauft, meistens ohne den tatsächlichen Austausch der Waren. Aus solchem Handelsgebaren entstehen künstliche Knappheiten, die sich unweigerlich auch auf die Preise auswirken – laut Handelsblatt stieg etwa der Preis von Kakao an der Londoner Rohstoffbörse innerhalb von fünf Jahren von 1.000 auf 2.200 britische Pfund (09.08.2010); Mitte Juli 2010 hatte ein einzelner Spekulant, Anthony Ward, Kakao im Wert von einer Milliarde US-Dollar gekauft, 241.000 Tonnen, sieben Prozent der Weltproduktion, die Preise sprangen schlagartig auf Rekordniveau. Der ursprüngliche Stabilisierungseffekt der Terminbörsen kehrt sich durch die zunehmenden Spekulationen inzwischen ins Gegenteil um: die Agrarerzeugnisse unterliegen erheblichen Preisschwankungen – nicht weiter wunderlich, nur bei Preisschwankungen können sich Spekulationen rentieren, umso volatiler, umso lukrativer. Bei Weizen oder Mais mit direkten Auswirkungen auf den Hunger in der Welt. |
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Ausgesprochen unausgesprochen
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April 2011 – Zweieinhalb Stunden (158 Minuten) verbringen Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren durchschnittlich täglich am Bildschirm mit Fernsehen (98 Minuten), Internet-Surfen (24 Minuten) und beim Spielen am Computer oder mit der Konsole (36 Minuten) laut KIM-Studie 2010 (Kinder + Medien, Computer + Internet; Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest). Gelesen wird durchschnittlich 21 Minuten täglich, ein Fünftel der Kinder gibt an, in der Freizeit nie zu lesen (der Anteil lag 2005 noch bei sieben Prozent), 44 Prozent lesen zurzeit kein Buch. |
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Winter Wonderland
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März 2011 – Zauberteppich, Teppichlift, ein langsam laufendes Förderband als Skilift für Anfänger in den Skischulen – nicht neu, aber passend zum Ende der Skisaison auch hier einmal eine Erwähnung wert. Vorne werden die kleinen Skipüppchen draufgestellt und oben wieder runtergehoben. Andernfalls könnte das Erlernen dieses Sports ja tatsächlich mit Bewegung verbunden sein. Von einem Freund hab ich die Geschichte, dass sich die Skilehrer an einem windigen Tag entlang des Fließbandes aufgestellt hatten, weil die Kinder immer runtergekippt sind und unterwegs öfter wieder aufgestellt werden mussten. Die Eltern der Skipüppchen fahren dann derweilen im Sessellift mit Wetterhaube und Sitzheizung (Hochfügen-Hochzillertal) – der Bequemlichkeit halber wohl bald rauf und runter. |
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ish hasse disch einfach
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März 2011 – Am Beispiel iShareGossip.com (übers.: ich teile Geschwätz) offenbart sich unsere naive Hilflosigkeit im politischen Umgang mit dem Internet. Einziges Ziel dieser deutschsprachigen Website ist die schrankenlose, anonyme Hetze auf (Mit)Schüler. Ohne Anmeldung und unter Zusicherung absoluter Anonymität können Schüler auf der Website ihren rechtschreibfreien Unflat über andere ausgießen, sauber geordnet nach Bundesländern, Städten und Schulen – „[Name] du hurentochter du halt lieber mal ganz schnell deine fresse bevor ich mein …“, „ja dich du wixxa ich geb dir mittwoch nach ausflug ein nacken wenn ich dich sehe“, „ihr mistqeburten kinder einfach hänqt euch auf“, „[Name] hässlig fett knecht schwul hab undd nicht fettttttttttttttt zu vergessen“, „vallah ihr kleinen mistkinder ich focke eure toten ihr hundesöhneee“. Eine schier endlose Multiplikation von gemeinen, rassistischen und sexistischen Beleidigungen und Kommentaren darauf, deren Spektrum ich hier aus Anstand gegenüber meinen Lesern nicht einmal annähernd wiedergegeben kann. |
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Abgezählt
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März 2011 – Epson, Canon, Brother (und es wäre ein Wunder, wenn nicht auch andere Hersteller) schalten ihre Tintenstrahldrucker nach einer bestimmten Anzahl von Ausdrucken planmäßig auf defekt. Ein Zähler-Chip, „waste counter“ oder kryptischer „protection counter“ genannt, generiert nach der voreingestellten Zahl der vorgesehenen Drucke eine Fehlermeldung und blockiert alle weiteren Druckversuche. Dahinter steckt nun nicht ganz ausschließlich Profitgier, sondern wohl auch ein gewisser realer Hintergrund – nämlich der geschätzte Füllstand für den Auffangbehälter der bei der Druckkopfreinigung anfallenden Alt-Tinte. Das ändert aber nichts daran, dass sich der Drucker unabhängig vom tatsächlichen Verschleiß vorprogrammiert selbst verschrottet. Wahrscheinlich wäre das Gerät ganz ohne Eingriffe noch lange voll funktionsfähig, in jedem Fall wäre es aber ein Leichtes die Alt-Tintebehälter auswechsel- oder auswaschbar zu machen. |
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Spiel ohne Grenzen
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März 2011 – Die Multifamilientherapie nach Eia Asen und Michael Scholz ist ein wirksames Verfahren gegen Magersucht oder Bulimie bei Kindern. Ein Leitgedanke dieses systemischen Ansatzes ist „Eltern müssen wieder Eltern werden“. Dementsprechend lernen die Eltern im Laufe der Therapie, die notwendige elterliche Autorität durchzusetzen. Sie lernen, ihren Kindern Grenzen zu setzen. |
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Buchführung
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Februar 2011 – Facebook ist lieb. Deswegen will es dir helfen, deine Freunde zu finden. Wer sich bei Facebook neu anmeldet, dem wird der Friendfinder angeboten. Wenn man zustimmt, durchforstet ein Programm automatisch den Computer oder das Smartphone nach Adressbeständen und lädt alles, was es findet, auf die Facebook-Server hoch. Mit den Daten kann einem der Dienst dann gleich beim ersten Besuch ein paar Bekannte vorschlagen, die schon Mitglied sind und mit denen man sich dann auch virtuell verbandeln kann – damit man sich am Anfang nicht so allein fühlt, echt nett gell. Als kleinen Lohn für die Nettigkeit behält sich Facebook die Adressdaten, um zum Beispiel diejenigen darunter mit E-Mails zu penetrieren, die noch keine Nutzer sind. Bei derzeit 15,1 Millionen Mitgliedern in Deutschland heißt das: Facebook kennt uns alle. Uns und unsere Beziehungen. |
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Am Pulsmesser der Zeit
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Februar 2011 – Nach was strebt unsere Gesellschaft? Volkseinkommen, Wohlstand, Gesundheit, Glück …? Wie messen wir den Erfolg dieses Strebens? Welche Schlüsse zieht die Politik aus dieser Erfolgskontrolle? – Auf all diese Fragen gibt es derzeit nur eine Antwort: Wachstum des Bruttoinlandsproduktes. Aber macht das wirklich Sinn? |
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Außenbeitrag
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Februar 2011 – Karl Popper war überzeugt und berief sich dabei auf Voltaire, dass wir die Toleranz zerstören, wenn wir die Intoleranz tolerieren. Intoleranz untergräbt die Basis menschlichen Zusammenlebens. Was könnte zersetzender wirken, als wenn in einer Gemeinschaft einzelne sich für unfehlbar erklären? Fundamentalismus und Diktatur sind daher regelrechte Verkörperungen der Intoleranz. Das sollte uns nicht nur bei den Taliban, al-Qaida oder den Muslimbrüdern bewusst sein, sondern auch wenn wir für Absatzmärkte, also zur Steigerung unseres Wohlstandes, mit Diktatoren kollaborieren. |
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Zum Schornstein hinausgejagt
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Februar 2011 – Täglich verbrennen wir rund 14,2 Milliarden Liter Erdöl. Was soll man da noch viel mehr dazu sagen. Wenn einem allein angesichts der schieren Größe der Zahl die unweigerliche Endlichkeit dieser natürlichen Ressource nicht klar wird, wie sollte man es dann noch veranschaulichen. Mit dem, was pro Jahr verbraucht wird? 5.182.111.384.531 Liter! Tendenz steigend. |
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RTL-Leitkultur
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Januar 2011 – 7,68 Millionen Deutsche haben sich am 26. Januar Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!, landläufig Das Dschungelcamp, angesehen. 8,66 Millionen Zuschauer waren in der aktuellen fünften Staffel dieses Formats bisher die Spitzenquote. Tag für Tag ergötzt sich jeder zehnte Deutsche an perversen Bloßstellungen abgetakelter Sternchen und öffentlichkeitssüchtiger Ex- und Möchte-gern-Promis. In Kakerlaken suhlen, mit Aalen baden, in Spinnen, Skorpionen (?), Schlangen oder Ratten wühlen, unter Fischinnereien und Fischabfälle tauchen, mit Schleim duschen oder lebendige Regenwürmer, Grillen und Mehlwürmer, Krokodils-, Schafs- und Fischaugen, einen Krokodil-Penis (am Stil), eine Kamel-Anus und Hirsch-Hoden essen und dazu gequirlte Maden und Mehlwürmer oder vermatschte Tiergenitalien, pürierte Emu-Leber und Rattenhirn trinken. Das ist, sein Sie mir nicht böse, einfach zum Kotzen – nicht diese überdrehten Persiflagen kindischer Mutproben, sondern die Masse der begeisterten Zuseher. |
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Haarscharf
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Januar 2011 – Schneepflug-Komfort-Schutz, mit Mineralöl verbesserte Gleitfähigkeit des Lubrastrip, Präzisionstrimmer, pulsierende Mikroimpulse, Elastomer-ummantelter Griff, 5-Klingen-Technologie – nein, das sind keine Einzelheiten der quälenden Tötungsapparatur In der Strafkolonie von Kafka. Tatsächlich ist hier die Rede von der tragischen Evolution der Nassrasur. Für das, wofür früher nicht viel mehr als eine scharfe Klinge und etwas Geschick bei der Handhabung von Nöten waren, braucht es heute „30 individuell aufeinander abgestimmte Komponenten“, „acht Jahre intensiver labortechnischer und klinischer Forschung“, 20 Patente und eine Batterie. Das nutzlose Ende einer noblen Kultur. Aftershave brennt heute auch nicht mehr – ich empfinde das als Verlust. |
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Also lautet ein Beschluss
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Januar 2011 – Auch verbeamtete Lehrer dürfen streiken, das hat das Düsseldorfer Verwaltungsgericht mit Bezug auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. In der weiteren Begründung hieß es außerdem, dass Lehrer „nicht zum beamtenrechtlichen Kernbereich“ gehören würden!? Aha!? |
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Der Berg schweigt
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Januar 2011 – Der vordergründige Inbegriff des sanften Wintertourismus, nur das durchpflügen, was man sich vorher aus eigener Kraft und durch Ausdauer erkämpft hat: Tourenskigehen. Ein faires Miteinander von Mensch und Berg – schafft der Mensch es, den Berg ein Stück weit zu bezwingen, sei ihm auch das Recht, die Natur für sich zu nutzen, zugebilligt. So fragwürdig aber an sich schon eine Ableitung von Rechten aus solch vermeintlichen Leistungen ist – wer würde zum Beispiel einem Vielfahrer allein wegen seiner Kilometerleistung irgendwelche Verpflichtungen der Straßenverkehrsordnung erlassen – pervertiert es sich spätestens dann, wenn dieser Anspruch massenhaft wird. |
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