Gesundheit |
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Das alte Neue aus Absurdistan in der Kategorie Gesundheit - 22 Beiträge |
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Unlautere Heilsversprechen
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April 2018 - DHU – Deutsche Homöopathie-Union – klingt nach Verband, ist aber Unternehmen (DHU-Arzneimittel GmbH & Co. KG, Karlsruhe, nach eigenen Angaben „Deutschlands größter Hersteller homöopathischer Einzelmittel und Schüßler-Salze“). Die DHU hat gerade eine Kampagne gestartet: Unter Hashtag #MachAuchDuMit und dem Slogan „Homöopathie. Natürlich. Meine Entscheidung!“ sucht das Unternehmen persönliche Zeugnisse der Wirksamkeit von Globuli. Tja, wer keine Beweise hat, braucht Zeugen. Denn mit der Faktenlage schaut es naturgemäß dünn aus: „Unsere Initiative schafft Transparenz und stellt die Homöopathie hinsichtlich Fakten und Erfolge realistisch dar. Denn eines ist klar: Millionen Menschen haben gute Erfahrung mit der Homöopathie gemacht.“ Und das war es dann auch schon mit den Tatsachen. Das ist dann doch eher von der Qualität: Scheiße schmeckt gut, Millionen Fliegen können nicht irren. Da brauch ich erst einmal einen Schnaps, um das zu verdauen. Diese „Überzeugung“ teile ich vermutlich auch mit Unzähligen. |
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Eingeschläfert statt aufgeweckt
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Februar 2017 – Als Verlust der Angemessenheit des Verhaltens für ein gedeihliches Fortbestehen habe ich Dekadenz 2009 im gleichnamigen Buch definiert. Eine allgemeine Begriffsabgrenzung genauso wie die Beschreibung der herrschenden Verhältnisse. Wohlfahrt ergibt sich nicht von selbst. Sie muss geschaffen werden. Und sie muss stetig aufs Neue geschaffen werden. Vieles deutet aber darauf hin, dass wir inzwischen vielfach zu träge und zu satt geworden sind, etwas zu schaffen. Ja, überhaupt etwas schaffen zu wollen. Kaum ein anderer Bereich als unser Umgang mit Kindern und deren Erziehung kann da besser als Indikator dienen. Die nächsten Generationen sind nachgerade der Inbegriff von Zukunftsfähigkeit. Erschreckend, wie wir da Chancen verschlafen (lassen). |
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Geteiltes Leid
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Dezember 2015 – Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat unlängst eine „Teilkrankschreibung“ vorgeschlagen. Bei vielen Erkrankungen ist eine Teilzeitarbeit fraglos zumutbar, bei so manchem Gebrechen ist ein wenig Arbeit vermutlich sogar heilsamer, als wenn einem zuhause die Decke auf den Kopf fällt. Bei langwährenden Krankheiten wäre dadurch zudem eine flexible, sukzessive Rückkehr zum vollwertigen Arbeitsleben möglich, ohne die komplexe Abstimmung eines Wiedereingliederungsplans. Gerade für die immer häufiger auftretenden psychischen Erkrankungen mit langen Fehlzeiten in manchen Fällen vielleicht ein schon aus sich allein heraus wirkender Beitrag zur Heilung. Und dann ganz nebenbei ein wenig Eindämmung der explodierenden Kosten des Gesundheitswesens. Da gibt es sicher Für und Wider, aber das klingt alles sehr vernünftig. Die Alles-oder-nichts-Regel bei Krankschreibungen erschien einem ja schon immer als eine eher lebensfremde Bestimmung (an die sich im Privaten tatsächlich auch niemand hält und man dort auch bei Krankheit den Umständen entsprechend Hausarbeiten erledigt oder Freizeitbeschäftigungen nachgeht). Für die selbsternannten Hüter des sozialen Versicherungsfriedens, den Sozialverband VdK Deutschland e.V., ist das allerdings – es war nicht anders zu erwarten – ein Dorn im Auge. „Geradezu alarmiert“ beschreibt der Bayerische Rundfunk die VdK-Präsidentin angesichts dieses Vorschlags. Sie befürchtet Druck auf langfristig Erkrankte und malt als Schreckensszenario aus, dass der Arbeitnehmer dann mit seinem Arzt über die Einsatzfähigkeit verhandeln müsste. Absurd, als ob dieses etwas differenziertere Ermessen einem Arzt nicht zuzutrauen wäre. Vernunft hin oder her, der VdK lehnt den Vorschlag kompromisslos ab. |
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Der Psychoreport
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November 2015 – Der Psychoreport, das ist kein Filmverschnitt der 70er-/80er-Jahre, sondern die aktuelle Analyse der Krankschreibungen durch die DAK-Gesundheit. "Deutschland braucht Therapie" ist der Untertitel dieses Berichts. Die psychischen Erkrankungen boomen – jede sechste Krankschreibung geht bereits auf dieses Konto, jährlich über sechs Millionen Krankheitstage sind das, fast zwei Millionen Betroffene; Tendenz: unverändert steiles Wachstum. Müssen wir jetzt bald alle ab auf die Couch? Oder ist es doch nur eine Zeitgeisteskrankheit? |
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Mal im Ernst
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März 2015 – Lassen Sie sich bloß kein X für ein Y aufmalen. Und schon gar nicht ein S. Sonst wird aus der Kanalisierung positiver Energie eine Blockade oder gar die Umkehrung ins Negative. Also jedenfalls, wenn ich das mit der neuen Homöopathie halbwegs richtig verstanden habe. Da fallen jetzt endlich die sinnlosen Zuckerkügelchen weg, geheilt wird nur noch durch das Malen von Zeichen auf den Körper – Malen gegen Qualen. Toll, dann spart man sich die teuren Globuli. Dafür kann man sich dann locker die Körbler®-Ratgeber, -Universalrute, -Symbolkarten oder das Körbler®-Himalaya-Experimentierwasser kaufen. Wozu? Lassen wir die Experten von natur-wissen.com zu Wort kommen: „In der Neuen Homöopathie werden die Körbler-Zeichen zum einen am Körper, zum Beispiel an speziellen Akupunkturpunkten, aufgemalt, um [mit der Universalrute] getestete Disbalancen auszugleichen. Zum anderen nutzt man in der Neuen Homöopathie das Körbler’sche Umkehrprinzip der Systeminformation auf der emotionalen und mentalen Ebene, wenn man mithilfe der Sinus-Welle emotionale Belastungen, Traumata oder mentale Blockaden umschreibt. Dabei werden negativ testende Schlüssel- oder Reizworte und die damit verbundenen belastenden Gefühle aufgeschrieben, um sodann mit dem passenden Umkehr-Zeichen der Neuen Homöopathie übermalt zu werden. Die so entstandene Umkehrinformation wird anschließend in Verbindung mit einer durch Y-psilon verstärkten Lösungs-Affirmation vom Betroffenen selbst auf ein Glas Wasser geprägt. So lässt sich ganz einfach ein informiertes ‚Heil‘-Wasser herstellen, dass [sic] zu 100% auf die individuelle Situation angepasst ist.“ Noch Fragen? Wer Körbler ist? Erich Körbler ist ein ehemaliger Elektriker der österreichischen Post (www.psiram.com/ge/index.php/Erich_Körbler). Und er ist der Erfinder der „Neuen Homöopathie“ und weiterer Verfahren, um die Menschheit für dumm zu verkaufen. Energieaufbaubetttücher, Elektrosmog-Strichcodes, Baumblüten-Essenzen oder die Körbler®-Klosterbürste mit Stil sichern seinen Jüngern das Geschäft. Das ist das A und O der Esoterik. |
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Das hab ich gefressen
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Januar 2015 – „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“, hieß es in meiner Kindheit jedes Mal, wenn ich versuchte die Tomatensuppe mit Reis zu verweigern. Ansonsten musste ich das selten hören. Ich war ein Kind, das in fremden Haushalten auf die freundliche Frage der Gastgeber nach Essensvorlieben stets als Allesfresser vorgestellt wurde. Nachdem die Geschichte mit dem in der Tomatensuppe bis zum Aufquellen ertränkten Reis bei uns zu Hause wohl ziemlich einzigartig war, war das auswärts nicht der Rede wert. Die Frage, „was hättest du denn gerne zum Essen“, wurde von meiner Mutter also immer vorauseilend in meinem Namen beantwortet: „Egal, der Gerd ist Allesfresser.“ So was gibt es heute nicht mehr. Es bleibt keine Zeit mehr, nach Vorlieben zu fragen. Die Klärung von Abneigungen, Empfindlichkeiten, Unverträglichkeiten und Unbekömmlichkeiten bis zu Allergien und Intoleranzen dauert zu lange. Und vor allem dann erst noch die Erkundung der Essensreligionszugehörigkeit: Freeganer, Flexitarier, Vegetarier ganz einfach oder die Ovo- oder Lacto-Variante, Frutarier, Pescetarier, Rohkostler oder so sakrosankt vegan, dass man sich sogar die Peitsche für durchschlagend erotische Stunden bei KinkyVegan aus Kunstleder handfertigen lässt. Unvermeidlich dass es da zur Gegenreformation kommen musste. Paleo heißt das jüngste Abendmahl. Ernährung, wie man sich die Steinzeit vorstellt. Fisch und Fleisch, Obst und Gemüse, Nüsse und Samen, Eier. Menschliche Kulturerrungenschaften sind verpönt. Kein Zucker und Salz, keine Getreide- oder Milchprodukte. Von Bier und Wein ist weniger die Rede. Wahrscheinlich lässt sich die eigene Borniertheit nicht nüchtern ertragen. Oder man braucht ab und wann einen Schluck, um die Diskrepanz zwischen fehlenden wissenschaftlichen Belegen und ausufernder Ratgeber-Literatur auszublenden. Okay, zugegeben, es hat auch seine Vorteile: Reis steht auf dem Steinzeit-Index, kann dementsprechend gar nicht erst in die Suppe kommen. Aber ich ecke auch sonst als Alles-außer-Reis-in-der-Tomatensuppenkasper kaum an. Ein wenig urzeitlich fühlt man sich als Allesfresser aber inzwischen schon. So dinomäßig: recht gesund, aber trotzdem eine aussterbende Rasse. |
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Und die Mutter blicket stumm ...
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... auf dem ganzen Tisch herum. – April 2013 – Laut dem aktuellen Arztreport der Barmer GEK ist die Diagnose der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zwischen 2006 und 2011 um 42 Prozent gestiegen. Entsprechend den Zahlen der Bundesärztekammer haben im gleichen Zeitraum die Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie um 33 Prozent zugenommen – von 2004 bis 2011 war es ein Zuwachs um 165 Prozent. Ein Schelm, wer da nach Henne oder Ei fragt. Der Verdacht, dass diese erstaunliche epidemische Inflation der ADHS ihren Ursprung in einem selbsterhaltenden Regelkreis aus unterlassener Erziehungsleistung und willfähriger, weil unterhaltssichernder Diagnostik hat, liegt nahe. Frau Doktor, wir lassen dem Buben doch eh schon alles durchgehen und jetzt strengt er sich nicht mal in der Schule an, der hat doch bestimmt ADHS, oder! |
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G-Hilfe
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April 2012 – Endlich ist er entdeckt, der sagenumwobene G-Punkt. Der vorgeblich erotische An-Schalter der Frau. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass just der G-Punkt-Finder auch gleich dessen künstliche Vergrößerung im seinem schönheitsoperativen Repertoire hat. Kommt aus den USA, wird aber auch in Deutschland bereits zahlreich angeboten. Das ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs der aktuellen Trends zur Manipulation des Faktischen auch im Intimbereich. Darunter tummelt sich inzwischen allerhand: Vaginalstraffung, Schamlippen oder Klitoris verkleinern, Venushügelfett absaugen und Anal bleaching (Hautaufhellung des Anus). Übrigens bei den Männern liegt auf Platz sieben der beliebtesten schönheitschirurgischen Eingriffe die Penisvergrößerung. Porn to be alive. |
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Mit Haut ohne Haar
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November 2011 – Beim EKG blickt die MTA erstaunt auf meine, wenn auch nicht viel, aber doch behaarte Brust, die sich dann auch erwartungsgemäß widerborstig gegen die Haftung der Elektroden sträubt; das hätte sie nun wirklich schon länger nicht mehr gehabt. Mit unrasiertem Oberkörper gehöre ich offenbar zu einer aussterbenden Rasse. Selbst im Intimbereich rasieren oder enthaaren sich immer mehr Männer – „ein glatt rasierter Unterleib ist bei Jugendlichen längst Mainstream“, so ein Sexualpädagoge von pro familia. 42 Prozent der männlichen Bravo-Leser rasieren sich regelmäßig die Schamhaare (berichtete die ZEIT schon 2009), rund die Hälfte der 18- bis 25-jährigen Männer meint die Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Leipzig, die „Schamregion unterliegt fortan einem Gestaltungsimperativ“. Dass dann bei den Jungs auch die Achselhaare weg müssen, versteht sich – die österreichische Krone-Zeitung hat gefragt: 58 Prozent der unter 30-Jährigen waren es. Hygienische Begründungen gibt es für all das im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts natürlich nicht. Es geht allein um eitlen Schein. In diesem wachsenden männlichen Enthaarungsfetischismus changiert Schönheitsbewusstsein gefährlich in Richtung Narzissmus – die unverhältnismäßig hohe Selbstbeachtung. Die wachsende Konzentration auf sich selbst und da nur auf die Äußerlichkeiten. Der mythologische Narziss ertrank in seiner Selbstverliebtheit. Das deutsche Volksmärchen hat solcherlei zerstörerischen Selbstwahn dann vornehmlich aufs weibliche Geschlecht projiziert, „Spieglein, Spieglein an der Wand …“. Zu Unrecht wie sich heute zeigt. |
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Fliegenfalle
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September 2011 – Auf seiner Webpage bietet er ein Verzeichnis ausgewählter Anbieter für „Astrologie, Energiearbeit, Heiler, Heilpraktiker, Lebensbegleitung und Numerologie“ – letzteres die Kunst der Weissagung aus der Symbolik von Zahlen, zum Beispiel in den Ziffern des Geburtsdatums. Drumherum blinkt Werbung für kosmische Jungbrunnen, gespeicherte Wort-Informationen auf Edelsteinwasser zur Früherkennung und Ausleitung von Störimpulsen und zur Stabilisierung der Organ-Energien in den äußeren Energiefeldern (Auswahl von 204 Testern für 4.920,- Euro zuzüglich Mehrwertsteuer), Ausbildungsseminare zum Schöpfer Ihres Lebens und spirituellen Coach (2.800,- Euro), Algentabletten zur Krebszellenabwehr (nehme ich zumindest an, wörtlich heißt es beim Anbieter „Antikrebszellenabwehr“) oder die SeelenTor-Essenz, |
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ein Auraspray zur Harmonisierung der Aura, sehen Sie selbst (die Aura links ohne, rechts mit der SeelenTor-Essenz). |
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Er schaut dich an
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Juli 2011 – Manchmal ist es doch zu etwas gut, wenn man BILD liest. Hätte ich sonst je etwas von Braco – sprich „Brath-zoh“ – erfahren. Braco der Wunder-, der Geistheiler (was er tunlichst vermeidet, von sich selbst zu behaupten – ausführlich lässt er allerdings darüber berichten, dass andere ihn für einen solchen halten). Braco, der sich einfach ziemlich belämmert guckend, vollkommen stumm auf Bühnen stellt. Und die Leute kommen, um sich gesund starren zu lassen. Kein gezielter Augenkontakt, sondern so ganz allgemeines Herumgeglotze. Man braucht quasi nur von seinem Blick gestreift zu werden. Für fünf Euro (in den USA acht Dollar), keine zehn Minuten. Wer selber keine Zeit hat, kann sein Foto anstarren lassen. BILD war jüngst beim Anglotzen in Esslingen dabei. Da kamen 4.000. In München waren es im Februar angeblich 6.700. Wem das live-Starren nicht genügt, kann sich danach noch Braco-DVDs, Braco-Bücher oder ein Braco-Foto (80 Euro) kaufen (laut den drei Phasen von Bracos Wirkung auf seiner Webpage, sollte man in Phase zwei nach dem Besuch seine Filme gucken – „Die zweite Möglichkeit ist das Wiedererleben der Begegnung mit Braco durch seine Filme. Diese Wirkung basiert auf dem Prinzip der Resonanz, was sogar wissenschaftlich nachgewiesen ist.“ – und in der dritten Phase Bücher über ihn lesen: „Warum ist gerade das so wichtig? Weil unsere Gesellschaft voller Zweifel und Misstrauen ist und diese Berichte Ihnen zeigen, dass auch Sie sich darüber hinwegsetzen und dass Sie auf diesem Weg sehr viel bekommen können, vielleicht sogar mehr, als Sie erwarten.“). So indoktriniert verstärken sie ihr Angeglotzdasein dann auch gerne mit ein wenig Braco-Heilschmuck (80 bis 150 Euro). |
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Auf kleiner Flamme
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November 2010 – Nach Schätzungen der Betriebskrankenkassen leiden heute in Deutschland angeblich neun Million Menschen an Burn-out (Quelle: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information). Der Wohlstand frisst seine Kinder? – Merkt denn wirklich niemand mehr, wie vollkommen unrealistisch inflationär wir uns selbst der Überforderung bezichtigen? Neun Millionen, das wäre ein Viertel aller deutschen Arbeitnehmer! Laut Weltbank müssen beinahe drei Milliarden Menschen auf der Welt mit weniger als zwei US-Dollar regionaler Kaufkraft auskommen und sich dafür in aller Regel Tag für Tag ausweglos rund um die Uhr schinden und gerade wir brennen in unserer durchschnittlichen 35,8-Stundenwoche massenhaft aus? Natürlich bedeutet ein Durchschnitt, dass auch bei uns viele deutlich mehr leisten müssen – die davon hauptsächlich Betroffenen, wie Selbständige, Landwirte oder akademische Berufe, beklagen aber gerade besonders wenig ihre Belastungen. Nein, nicht das Leiden-Müssen nimmt bei uns zu, es verschieben sich die Grenzen des Erträglichen. Was für die Betroffenen natürlich auf das Gleiche hinausläuft, aber nicht für die moralische Verpflichtung zur Beihilfe aus der Solidargemeinschaft. Aber auch darüber hinaus kann es uns nicht egal sein: Auf welchen starken Schultern wollen wir denn eine Zukunft bauen, wenn bald jegliche Verpflichtung zur Quelle scheinbar unbewältigbarer Überforderung wird? |
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In Aloe Veritas
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August 2010 – „Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung mit vielen Kunden in den letzten Jahren und auch meiner eigenen besiegten Krebserkrankung“, so beginnt die verbriefte Anpreisung der selbsternannten Vitalstoff- und Vitalitätstrainerin Amata B. aus Ottobeuren für Aloe Vera Hautpflegeprodukte vom Multi-Level-Marketing-Unternehmen Forever-Living-Produkte anpreist. Aloa-he / Aloe-he / Ich glaub daran / Dass keiner ohne / Creme leben kann. |
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Durch dick und dünn
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Juni 2010 – Jeder sechste Deutsche ist behandlungsbedürftig dick (BMI > 30, das sind zum Beispiel über zwei Zentner bei 1,83 Körpergröße). Im europäischen Dicken-Vergleich belegen die Deutschen inzwischen Platz eins. Dabei dürfte die Statistik sogar noch schöngefärbt sein, weil bei uns im Gegensatz zu anderen Ländern nicht gewogen und gemessen wird, sondern befragt. |
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Schuhschlank
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Mai 2010 – Mens sana in corpore sano. Dessen ist sich auch unsere müßige Wohlstandsgesellschaft (noch) bewusst und sucht daher laufend nach möglichst anstrengungslosen Wegen der Gesunderhaltung. Die neue Generation der Freizeitschuhe, der Reebok „EasyTone Inspire“, verspricht ein Mehr an verbrannten Kalorien auch ohne sportliche Betätigungen, allein bei Alltagsbewegungen: “Schritt für Schritt zu einem schöneren Po und strafferen Beinen.“ |
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Aufgemerkt
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Mai 2010 – Auf ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-Störung) muss man erst einmal kommen. Laut einer Forsa-Befragung im Auftrag der Techniker Krankenkasse meinen elf Prozent der bayerischen Eltern von ihrem Kind, dass es an ADHS krankt – in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern glauben so etwas gerade mal ein Prozent der Eltern. ADHS muss man sich leisten können. |
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Schön ist es auf der Welt zu sein
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April 2010 – Laut den Ergebnissen einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der KKH-Allianz kann sich jeder sechste Deutsche vorstellen, sich zur Steigerung der Attraktivität operieren zu lassen. Tatsächlich verzeichnet die Krankenkasse auch eine merkliche Zunahme an Anträgen der Versicherten zur Kostendeckung von Schönheits-OPs. Kosmetische Eingriffe sind allerdings noch kein Bestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung. Dass sich das bald ändern könnte, lässt der folgende Beitrag vermuten. |
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Irrtum
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April 2010 – Irre! Wir behandeln die Falschen - unser Problem sind die Normalen hat Manfred Lütz seinen aktuellen Kassenschlager genannt (Platz 4 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch 15/2010). Wer sich das Buch aufgrund des Titels in der Hoffnung auf eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung über Normalität und Pathologie unseres modernen Lebens kauft, wird freilich arg enttäuscht. Der politische Tiefgang dieses Werkes geht nur bis zu der dem Titel widersprechenden Erkenntnis: „Kein Mensch ist einfach nur normal. Wenn ‚normal’ schon nichts für die Ewigkeit ist, dann sind ‚normal’ nur vorübergehende Verhaltensweisen, die jedem von uns unterlaufen, auch Ihnen und mir. Auf die Gefahren dieser ‚Normalität’ wollte das Buch hinweisen, ohne freilich ihre Segnungen zu verschweigen. Denn in diesem Leben sind wir darauf angewiesen, dass das meiste ‚normal’ abläuft.“ Ist dann unser Leben an sich das behandlungswerte Problem, Herr Lütz? |
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Unlustig
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Februar 2010 – Nach Hochrechnungen im Arztreport 2010 der Barmer GEK geht jeder gesetzlich Versicherte durchschnittlich 18 Mal im Jahr zum Arzt (ohne Zahnarzt). Gemeinsam mit Japan sind wir damit wahrscheinlich Weltspitze (OECD). Maßgeblichen Anteil an der wachsenden Anzahl von Arztbesuchen und zweit häufigste Ursachengruppe: Depressionen. Nach Hochrechung der Barmer GEK wurden 2008 bei 6,6% der 70 Millionen gesetzlich Versicherten Depressionen diagnostiziert. Das sind 4,6 Millionen Bundesbürger – mindestens jeder 17. Deutsche glaubt sich also depressiv (und bekommt das auch ärztlich attestiert). Bemerkenswert: Laut dem Arztreport 2010 sind die Diagnosen zum überwiegenden Teil – bei einer Auswahl von 24 normierten Alternativen – nur einer, der unspezifischsten Variante zuzuordnen; „depressive Episode, nicht näher bezeichnet“ – Der Verdacht liegt nahe, dass man wohl oft auch hätte sagen können: mal nicht so gut drauf gewesen. 4,1 Milliarden Euro hat das den Sozialversicherungspflichtigen 2008 gekostet. Unlust muss man sich leisten können. |
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Krankmachen
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Dezember 2009 – Eindrucksvolle Belege, wie wir immer mehr das Leben an sich in ein therapiebedürftiges und medikamentenabhängiges Dasein umwandeln, finden sich in den gesellschaftlich ambitionierten Publikationen des altgedienten Psychiatrieprofessors Klaus Dörner (über ein Land voller Menschen, die sich „möglichst lebenslang sowohl chemisch-physikalisch als auch psychisch für von Experten therapeutisch, rehabilitativ und präventiv manipulierungsbedürftig halten, um ‚gesund leben‘ zu können.“). Sehr plakativ seine zweijährige Analyse der Berichte über wissenschaftliche Untersuchungen zur Häufigkeit psychischer Störungen in zwei überregionalen Zeitungen: Dörner zählte die veröffentlichen Erkrankungsquoten zusammen und kam für die Gesamtheit der deutschen Bundesbürger auf 210 Prozent – das heißt, jeder Deutsche leidet laut Expertenmeinungen durchschnittlich an mehr als zwei psychischen Störungen, die therapiert werden müssten, wie Angst, Depressionen, Sucht, Traumata, Essstörungen oder Schlaflosigkeit („Die allmähliche Umwandlung aller Gesunden in Kranke“, Frankfurter Rundschau 26.10.2002). Gegen diese Pandemie der psychischen Krankerklärungen ist kein Kraut gewachsen, wird aber nichtsdestoweniger verschrieben und verkauft. Der boomende Gesundheitsmarkt vom functional food über die Fitnessausrüstung bis zum Kernspintomographen ist das Spiegelbild unserer hypochondrischen Wehleidigkeit, die gerade ihren psychosomatischen Hype durchlebt. |
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In Schönheit sterben
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August 2009 – Unser Glück hängt immer mehr von der Manipulation des Faktischen ab: Die Zahl der Schönheitsoperationen in Deutschland ist von 2006 bis heute von circa 400.000 auf mehr als eine halbe Million jährlich gestiegen. Der Trend geht aber eigentlich zu minimal invasiven Behandlungen wie Faltenunterspritzen. Da ist es allerdings bei uns schwierig, an Zahlen zu kommen. Die Süddeutsche Zeitung mutmaßt in einem Beitrag vom 21. April 2009, dass „alleine in Deutschland 2008 eine Million Botoxbehandlungen gemacht wurden“. Außerdem lassen sich aber auch recht eindeutige Aussagen finden. Die Behandlungsprofis warnen – weil sie um ihre Geschäfte fürchten – vor unsachgemäßer Spritzenhandhabung, „denn die so genannten Botox-Partys boomen regelrecht“. Der FOCUS-TV-Schönheitschirurg meint in einem BUNTE-Interview 2008: „Auffallend ist, dass die Anzahl der Faltenbehandlungen auch in Deutschland förmlich explodiert ist.“ Und Freundin rät ihren Leserinnen: „Keine Angst vor diesem Nervengift, für Beauty-Anwendungen wird es in stark verdünnter und damit vollkommen ungefährlicher Form verwendet.“ Wie ich schon im Buch geschrieben habe: „Da wächst die erste Generation der Menschheit heran, die in Schönheit sterben wird.“ |
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Die Kinder-Stilllegungspraxis macht Schule
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Juli 2009 – Immer mehr Kinder werden mit Psychopharmaka leichter handhabbar gemacht. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen titelt in seinem Sondergutachten 2009 in Bezug auf Verschreibungen an Kinder: „Besonders häufig: Präparate für Erkältung und ADHS“ (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung). Auf Datengrundlage der Gmünder Ersatzkasse sind in den Altersgruppen von 7 bis 11 Jahren und 11 bis 14 Jahren jeweils ADHS-Medikamente unter den Top 5 der am häufigsten verordneten Arzneimittel. Bei den 11- bis 14-Jährigen ist das ADHS-Mittel Medikinet sogar auf Platz 1 und zusätzlich Concerta auf Platz 5 (beide mit dem Wirkstoff Methylphenidat, der auch unter dem Handelsnamen Ritalin bekannt ist und nach dem Betäubungsmittelgesetz einer gesonderten Verschreibungspflicht unterliegt sowie für Erwachsene ab 18 Jahren in Deutschland gar nicht zugelassen ist). Zur Wirkweise von Methylphenidat bei ADHS gibt es allerdings nur Hypothesen. Der Sachverständigenrat sieht außerdem die Gefahr möglicher Nebenwirkungen wie Schlaf- und Wachstumsstörungen. Studien belegen, dass die Wirkung der medikamentösen Behandlung langfristig einer reinen Verhaltenstherapie nicht überlegen ist. |
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