Konsum

Das alte Neue aus Absurdistan in der Kategorie Konsum - 29 Beiträge


Verstand vernascht

April 2019 - Ein paar Wurstschnipsel & Salzbrezeln in ganz viel Plastikmüll geschweißt. Verantwortungslos.


Biologik

Dezember 2016 – Nur weil biologisch draufsteht, muss es noch lange nicht logisch sein. Oder vernünftig. Dementsprechend hat auch biofair offensichtlich herzlich wenig mit irgendeiner Gerechtigkeit gegenüber der Natur zu tun. Wer sich darüber tatsächlich Gedanken macht, würde wohl kaum ein paar Plätzchen in einer Verpackung aus dickem hartem Plastik feilbieten. Den Unsinn nur notdürftig mit dem Claim „Mehrzweckdose“ kaschiert. Meine ganze Werkstatt quillt schon lange über von Dosen und Döschen ehemaliger Lebensmittelverpackungen, die man noch zum Schraubensortieren oder Pinselauswaschen gebrauchen kann. Die große Box in der Speise mit Tupperware & Co. ist ebenso dauerüberfüllt – obwohl wir uns lebenslang noch nie irgend sowas selbst gekauft haben. Da hätte ich mir von jemandem, der sich bio logisch und auch noch ebenso fair schimpft, eher eine Lösung als Mehrbelastung gewünscht. Da fühlt man sich glatt bioschissen.



Alles "Bio", "Regio" oder was?

Februar 2016 – Ohne „Bio“ geht heute gar nichts mehr. Jeder in der Lebensmittel-Branche, der irgendwie den Anschein von Qualität wahren will, um sich dafür teuer bezahlen zu lassen, sucht danach, „künstliche“ Zusatzstoffe bei Anbau und Zubereitung zu meiden. Warum auch immer per se alle Konservierungs-, Geschmacks- oder Farbstoffe aus streng reglementierten und kontrollierten Betrieben der Lebensmittelindustrie böse sein sollen. Und warum auch immer alles, was „natürlich“ ist, der Gesundheit generell zuträglich sein sollte. Sei’s drum: Fakt ist, wer sich „Bio“ auf die Firmenfahne schreibt, beugt der herrschenden kognitiven Dissonanz bei den Verbrauchern vor. Und kann ansonsten auf abgeschaltete Gehirne hoffen. Anders ließe sich nicht erklären, dass ein Bio-Mini-Kuchen aus der Dose verkäuflich ist (www.minikuchen.at‬). Ein 150-Gramm-Küchlein im Weißblechmantel für fünf Euro. Ich schätze mal, da hat die Apfeltasche von McDonalds eine bessere Ökobilanz. Geschweige denn im Vergleich zu einem Stück Kuchen vom Konditor oder gar selbst gebackenem. Das ist zwar nicht zwei Jahre haltbar, aber wer will schon einen Kuchen zwei Jahre aufheben? Da mag ja jetzt alles schön brav „Bio“ drin sein, aber das Ganze ist nun mal ökologischer Unsinn. Der Verweis darauf, dass das Weißblech 100 Prozent recycelbar ist, schon fast höhnisch. Nun will ich das Produkt an sich gar nicht verdammen. Jeder nach seinem Gusto. Aber was sind wir nicht offenbar alle für dumm verkaufte Herdetiere, die arglos einem simplen Wort hinterherlaufen.
Inzwischen ist ja angeblich „Regio“ das neue „Bio“. Tatsächlich spricht viel dafür, wenn möglich auf regional saisonal verfügbare Produkte zu achten. Aber warum muss man dazu erst ein „Regio“-Label erfinden? Gerade bei Frischwaren ist die Herkunftsangabe schon lange guter Usus oder der Ursprung ist wenigstens leicht in Erfahrung zu bringen. „Regio“ einkaufen, geht schon immer. Und wenn die Kunden darauf achten, entsteht auch ganz von selbst das Angebot. Dann muss man sich nicht vom falschen Schein hinters Licht führen lassen. Wie bis vor kurzem noch bei Coop mit Kaffee, Orangensaft oder Tee von „Unser Norden“. Oder wenn „Regio“ mancherorts als ganz Deutschland verstanden wird. Oder sich regionale Namen nur auf den letzten Verarbeitungsschritt beziehen, wie beim Schwarzwälder Schinken. Oder wenn gar nur die Anmutung der Verpackung regionale Assoziationen erzeugt.
Wie wär’s mal mit: Selber-Denken ist das neue „Bio“/„Regio“?


Atemlose Herrlichkeiten

September 2014 – Oktoberfestzeit. Wo man auch hinschaut, recken sich einem gut ausgefüllte Dirndlausschnitte entgegen. Ungeahnte Prachtvielfalt. Kein Wunder aber, ist doch das Dirndlmieder quasi der urzeitliche Vorläufer des Wonderbra. Wo die Damen offenherzig wenig mit den Reizen geizen, wollen sich auch die Burschen nicht lumpen lassen und präsentieren stramme Wadln unter der kurzen Lederbux. Wer allerdings nur mit Steckerlhaxen aufwarten kann, besorgt sich besser Wadenstrümpfe mit eingenähten Schaumstoffmuskeln – „königlich-bayerische Wadl-Implantate“. Wenn dann Männlein und Weiblein angesichts solchen gepushten Sex Appeals ins Schwitzen geraten, muss man sich auf seine Achselpads unter der Dirndlbluse respektive dem Landhausmodenhemd verlassen können, getreu der Herstellergarantie: „Der starke Saugkern unserer Achselpads nimmt den frisch gebildeten Achselschweiß sofort auf. Dadurch haben die Hautbakterien keine Chance, an Ihrer ‚persönlichen Duftnote’ zu arbeiten.“ Will heißen, dann kann man sich nicht riechen und erspart sich so die ernüchternde Offenbarung sinkender und schwindender Proportionen beim After-Wiesn-Tête-à-Tête.



Süßer die Doggen nie klingen

Dezember 2013 – Den Besuch beim Hundeweihnachtsmarkt im Nachbarort hab ich mir dann doch verkniffen. Die Vorstellung von hundeglühweintrunkenen Dackeln, die „Oh Tannenbaum, oh Pinkeltraum“ grölen, hat mich abgeschreckt. – Wer an dieser Stelle eine unangemessene Übertreibung des Autors empfindet, möge einmal bei YouTube „singing dog“ eingeben und sich den einen oder anderen der über 1,7 Millionen durchweg sinnfreien Beiträge antun. – Zugegeben, in Wirklichkeit gibt es gar keinen Glühwein für Hunde, nicht einmal Wein gibt es für Hunde; nur für Katzen (Nyan Nyan Nouveau). Hunde werden eher männlich verortet. Die trinken Bier (Schwanzwedler). Und bekommen dann natürlich einen Bierbauch; in den USA ist schon jeder zweite Vierbeiner zu fett. Das scheint bei uns durchaus auch ein Thema zu sein. Warum sollte es sonst Fitnesstrainer für Hunde und prophylaktische Dog-Physiotherapien geben? Die Mädels achten wie immer deutlich mehr auf ihre schlanke Linie und bestellen bei Frauchen gleich nur Katzenwasser (99 Cent die 1,5l-PET-Flasche), stilecht kredenzt im elektrisch umwälzenden Trinkbrunnen. Dem gemeinen Mops bleibt da nur Frustfressen mit jahreszeitgemäßen Hundeplätzchen, zum Beispiel den „Winter Stars“ mit Apfel und Zimt gebacken, natürlich alles Bio und ohne Aroma- und Konservierungsstoffe – wahlweise auch aus dem Adventshäuschen „Bello“ mit 24 Türchen: „Verkürzen Sie die Zeit, die ihr vierbeiniger Freund auf Weihnachten warten muss.“ Ja, ja und am Heiligen Abend bellen wir dann alle zusammen „Euch ist ein Welplein heut’ gebor’n.“


Mist gemacht

Juni 2012 – Duft-Müllbeutel und Abfalltonnen-Deo, umso mehr Dreck wir uns in hemmungsloser Discounter-Völlerei nach Hause karren und mehr und mehr davon gerade einmal angebissen in die Tonne hauen, umso weniger wollen wir von der Dreckigkeit dieses Drecks belästigt werden. Knapp sieben Millionen Tonnen Lebensmittel befördern die deutschen Haushalte jährlich in den Müll. Nur die Haushalte – mit Handel, Industrie und Großverbrauchern summiert es sich auf 11 Millionen Tonnen. Der erheblich größere Teil davon wohl vermeidbar. (Quelle: Instituts für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart, 2012) Das stinkt tatsächlich gewaltig zum Himmel.


Napfkuchen

Februar 2012 – Nachtrag zum letzten November: 40 Hundebäckereien sind es inzwischen allein in Bayern. Wem das zu profan ist, bestellt bei der Hundekonditorei: Leberwurst-Croissants, Seelachs-Trüffel, Lachs-Spinat-Krokant, Karotten-Kokos-Makronen, Käsetraum-Lollis, handgemacht, 100% Natur. Und nicht vergessen, Ostern steht vor der Tür, da dürfen Herrchen und Frauchen ganz besonders einen am Keks haben: Rindfleisch-, Käse- oder Leberwurst-Häschen, Hundeschokoladenhase oder schlicht Pralinen – vier Stück (70g) im Holzkistchen zu 8,90 Euro. Das Leben ist ein Leckerlie.


Ausgelutscht

Januar 2012 – Wem jetzt das Lutschen eines Bonbons zu aufwendig erscheint, sprüht sich vorgeschnulltes Candy-Spray in den Mund. Ein paar Milliliter Soße aus Süßstoff, künstlichen Aromen und einigen E-Nummern im Plastikfläschchen mit Pumpzerstäuber. Alternativ auch Doppel-Candy-Spray, Candy-Schaum-Spray oder Light-up-Candy-Spray, das auf Knopfdruck im Dunkeln leuchtet. Das Leben ist halt kein Zuckerlecken.


Schöne bunte Warenweltkulisse

Januar 2012 – Der ehrbare Kaufmann, jemand möge es mir bitte sagen, wo ist er geblieben? Der Kaufmann, der nicht vor lauter Gier dem eigenen Lug und Trug begeistert selber Glauben schenkt. Der Kaufmann, der stolz ist, und zu dessen Stolz es gehört, die hochgehaltene Moral nicht dem Profit zu opfern. Der Kaufmann, der sein Produkt um seiner Produktidee willen verkaufen mag, nicht weil er die Schachtel schön angemalt und wohlklingend beschriftet hat. Pfui Teufel, jedem Ehrhaften käme die Galle hoch, wenn er Mist in bunten Kistchen verscherbeln sollte.

Nun weiß ich wohl, wo die Anständigen zu suchen wären: in unzähligen mittelständischen Familienunternehmen zum Beispiel. Und keine Frage, gewissenlose Krämerseelen gab es schon immer. Nur heute scheinen sie als Großunternehmen und globale Konzerne Legion, und treten die Ethik des ehrbaren Kaufmanns mit Füßen.

Gerade hat die Verbraucherorganisation Foodwatch zum Beispiel Teekanne mit ihrem Beuteltee „Landlust“ aufs Korn genommen. „Genießen Sie einen kleinen Ausflug aufs Land und entdecken Sie den ursprünglichen Genuss vertrauter Früchte, die noch in Ruhe heranreifen können“, heißt es auf der Teekanne-Webpage, „nur natürliche Zutaten“ prangt auf der Verpackung. Bei der Sorte „Mirabelle & Birne“ ist dann aber nicht einmal Mirabelle drin, und auch kein natürliches Aroma und auch kein Mirabellen-Aroma, sondern nur „Aroma mit Mirabellen-Geschmack“. Und auch Birne ist in dem Beutel nur zu acht Prozent auffindbar. Sehr landlustig.
(www.abgespeist.de)

Beleibe kein Einzelfall: Über 4.500 Produktmeldungen sind inzwischen bei der Ende Juli 2011 von den Verbraucherzentralen gestarteten Internetplattform www.lebensmittelklarheit.de eingegangen. Hier findet sich etwa das „Pesto alla Genovese“ von Barilla, das typischerweise Pinienkerne und Olivenöl enthält. Tatsächlich verwendet Barilla in erster Linie billigeres Sonnenblumenöl (46,1 Prozent der ganzen Chose sind Sonnenblumenöl, nur ein Prozent sind wirklich Olivenöl, gerade einmal ein Tropfen) und Pinienkerne gibt’s gar nicht (stattdessen Cashewnüsse).

Schon gleich gar wird die Wahrheit kreativ gebeugt, was das Zeug hält, wenn der Gesetzgeber mehr oder weniger bewusst Lücken gelassen hat: Auf der Eierverpackung muss nicht das Herkunftsland der Eier stehen, sondern nur das Land, in denen sie verpackt wurden, Vollmilchschokolade braucht keine Vollmilch zu enthalten, schwarze Oliven können grüne gefärbt sein, aus aller Welt zusammengepanschter Honig darf auf dem Etikett mit der regionalen Adresse des Verpackers beworben werden, in Seelachs-Schnitzeln muss kein Lachs sein.

Aber was wäre das für eine Welt, in der man jeder erdenklichen Unmoral mit einer detaillierten gesetzlichen Regelung begegnen wollte? Das funktioniert nicht. Ein Gemeinwesen muss auf einer gewissen Selbstverständlichkeit moralischer Grundwerte fußen. Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit gehören da eigentlich dazu, zumindest das redliche Bemühen darum. Und auch ohne Gesetze lässt sich Unmoral gesellschaftlich sanktionieren:

Kaufen wir es den Heuchlern und Schönfärbern einfach nicht ab.


Backe, backe Hundekuchen

November 2011 – Der Hunde-Brunch ohne künstliche Konservierungs- und Aromastoffe, tierische Bioläden, die Hunde-Bäckerei – „Leckerlies direkt aus der Backstube“.



Ob man da sonntagmorgens auch frische Hundebrötchen bekommt? Der moderne dog life style baut jedenfalls fest auf Frische. Die über fünf Millionen Hundehalterhaushalte in Deutschland wissen offensichtlich nicht mehr wohin mit ihrem Geld und gehen immer öfter mit dem Bello auf ein Hundebier zur Hundewurst in den Hunde-Imbiss. Menschenfutter macht derweilen nur noch gut ein Zehntel des privaten Verbrauchs aus, in den Siebzigerjahren war es ein Viertel. Ein ganzes Hähnchen ist uns heute bratfertig tiefgekühlt gerade einmal zwei bis drei Euro wert (nebenbei: bei vollem Bewusstsein des gesunden Menschenverstandes, dass solche Preise nur mit vollautomatisierter Tierquälerei machbar sind). Endgültig pervers wird diese Schizophrenie des boomenden Bio-Frische-Hundefutter-Trends angesichts weltweit 925 Millionen Hungernden. Der Vergleich mag unlauter erscheinen, bei Hundemenüs wie „Rehwild mit Schupfnudeln, Zucchini und Marone & Thymian“, „Gans mit Kartoffel, Möhre und Erbsen & Kürbis“ oder „Kaninchen mit Kartoffel und Löwenzahn“ und „Känguru [nur] mit Kartoffel“ drängt sich einem, wenn man sich auch nur einmal kurz besinnt, der Vergleich mit den Hungerleidern dieser Welt unweigerlich auf. Oder dass ein Drittel der Weltbevölkerung mit meist nicht viel mehr als einem Napf Reis pro Tag auskommen muss.


Alea iacta est

August 2011 – Wer hat die Würfel aus dem Käse gemacht? Für alle, die heute nicht mehr sicher mit Messer und Gabel umgehen können, gibt es den Käse bei ALDI schon vorgewürfelt. Discount your life.


Tretboot in Seenot

Juli 2011 – Auch auf dem Wasser schreitet die Elektrifizierung aller menschlichen Bewegungsmöglichkeiten voran: das Tretboot mit Elektronantrieb ist erfunden. Im BionX SeaScape 12 tritt ein Elektromotor mit in die Pedale. Am Brombachsee soll so was schon bald in den Verleih kommen.
In diesem Zusammenhang hier noch ein kostenloser Tipp an die Produktstrategen der WaterFun-Industrie: Schwimmbretter mit Elektroantrieb gehen sicher auch weg wie geschnitten Brot. Oder gleich Schwimmflügel mit Propeller, weil wozu eigentlich noch selber schwimmen lernen?


Zunder geben

Juni 2011 – Nun ist es dahin, das letzte Ur-Gen im Manne, das letzte Rudiment des aufrechten Jägers, die evolutionäre, instinktive Beherrschung eines vordem unbeherrschbaren Elements. Das Zeitalter der selbstentzündenden Grillkohle ist angebrochen – einmal kurz das Feuerzeug hingehalten und die Glut entfacht und erhält sich ganz von selbst ohne jedes Zutun. „Die Feuerpracht / Gibt mir die Macht / Genau zu sein wie du“, sang einst der Orang-Utan King Louie in Walt Disneys Dschungelbuch, um vom entführten Mogli das Geheimnis des Feuer-Machens zu erpressen; „Ein Affe kann kann kann/ Sein wie ein Mann/ So ein Mann wie duhuhu“. Das Pendel der Zeit schwingt zurück, wir machen uns heute lieber selber zum Affen.


Abgezählt

März 2011 – Epson, Canon, Brother (und es wäre ein Wunder, wenn nicht auch andere Hersteller) schalten ihre Tintenstrahldrucker nach einer bestimmten Anzahl von Ausdrucken planmäßig auf defekt. Ein Zähler-Chip, „waste counter“ oder kryptischer „protection counter“ genannt, generiert nach der voreingestellten Zahl der vorgesehenen Drucke eine Fehlermeldung und blockiert alle weiteren Druckversuche. Dahinter steckt nun nicht ganz ausschließlich Profitgier, sondern wohl auch ein gewisser realer Hintergrund – nämlich der geschätzte Füllstand für den Auffangbehälter der bei der Druckkopfreinigung anfallenden Alt-Tinte. Das ändert aber nichts daran, dass sich der Drucker unabhängig vom tatsächlichen Verschleiß vorprogrammiert selbst verschrottet. Wahrscheinlich wäre das Gerät ganz ohne Eingriffe noch lange voll funktionsfähig, in jedem Fall wäre es aber ein Leichtes die Alt-Tintebehälter auswechsel- oder auswaschbar zu machen.

Nun wird man einwenden, dass bei Anschaffungspreisen ab 30 Euro (!) kein druckendes Perpetuum mobile zu erwarten sein kann und natürlich wird hier profitabel mit der Dummheit der Geiz-ist-geil-Käufer jongliert. Aber selbst bei einem Bleistift für ein paar Cent erwarte ich von einem ehrbaren Anbieter, dass er mir den nicht mit vorgebrochener Mine verkauft, und der Bleistift gegebenenfalls auch noch als Stummel hinreichend dienlich ist. So aber werden schamlos Käufer hinters Licht geführt und verantwortungslos ressourcenzehrende Drucker-Müllberge fabriziert.

Derartiges Wirtschaften klinkt sich aus seinem gesellschaftlichen Zusammenhang aus. Das Restrisiko schlechten Gewissens wird in den anonymen Verantwortungshierarchien der Großkonzerne bis zur Unkenntlichkeit kreuz- und quergemanagt. Ein mit dem eigenen Namen für sein Produkt einstehender Familienunternehmer würde hingegen einen „waste counter“ seinem Entwicklungsingenieur um die Ohren hauen. Weil er weiß, dass, wenn so etwas ruchbar würde, sein Ruf und damit seine künftigen Absatzchancen ruiniert wären – und würde er sich auch noch so sehr als billiger Jakob anbiedern wollen. Die direkte Verknüpfung von Produkten oder Dienstleistungen mit einer haftenden Person ist das Fundament einer verantwortlichen und damit viel eher nachhaltigen Marktwirtschaft. Haftung ist ein Schlüsselwort für die zukunftsfähige Gestaltung des Wirtschaftens. Wo wären wir wohl heute zum Beispiel in der Entwicklung der regenerativen Energieversorgung, wenn die Vorstände und Aufsichtsräte der Energiekonzerne die Haftung für die Endlagerung des von ihnen produzierten Atommülls tragen müssten? Wie viel leichter wäre die Staatsverschuldungskrise in der Euro-Zone zu lösen, wenn die Profiteure der hochverzinslichen Staatsanleihen nun auch ihren Teil am Staatsbankrott etwa Griechenlands tragen müssten, indem sie einen beachtlichen Teil ihrer Forderungen abschreiben? Wäre der Kasinokapitalismus der Subprime-Krise so weit getrieben worden, wenn auch nur ab und wann in dem ganzen Karussell einmal einer ganz persönlich seinen Kopf (und sein privates Vermögen) hätte hinhalten müssen?


Außenbeitrag

Februar 2011 – Karl Popper war überzeugt und berief sich dabei auf Voltaire, dass wir die Toleranz zerstören, wenn wir die Intoleranz tolerieren. Intoleranz untergräbt die Basis menschlichen Zusammenlebens. Was könnte zersetzender wirken, als wenn in einer Gemeinschaft einzelne sich für unfehlbar erklären? Fundamentalismus und Diktatur sind daher regelrechte Verkörperungen der Intoleranz. Das sollte uns nicht nur bei den Taliban, al-Qaida oder den Muslimbrüdern bewusst sein, sondern auch wenn wir für Absatzmärkte, also zur Steigerung unseres Wohlstandes, mit Diktatoren kollaborieren.

Die Aufstände im Maghreb haben gerade unser von Djerba-Stränden und Rotem Meer weichgezeichnetes Bild ein wenig aufgeklärt. In Libyen ganz offenbar, wenn Muammar al-Gaddafi die Intoleranz auf die Spitze treibt, indem er Andersdenkende nicht nur nicht toleriert, sondern von seinen Söldnern abschlachten lässt.

Nutzen wir die Gunst der Stunde und schauen mit klarerem Blick zum Beispiel nach Weißrussland; dort hält sich Alexander Lukaschenko seit 1994 mit getürkten Wahlen und massiven Menschenrechtsverletzungen an der Macht und Deutschland exportierte 2009 für 1,6 Milliarden Euro Waren dorthin, seit Mai 2009 ist Weißrussland dezidierter Ost-Partner der EU. In Äthiopien unterhält Meles Zenawi wahrscheinlich Internierungslager für Zehntausende oppositioneller politischer Gefangener und regiert seit 1991, bei den letzten Parlamentswahlen 2010 mit einer angeblichen Wahlmehrheit von 99,96 Prozent für das Regierungsbündnis, allein für die Partei Zenawis 91,2 Prozent – für 126 Millionen Euro verkaufte Deutschland 2009 nach Äthiopien; der bloßen Summe nach nicht unbedingt viel, es ist aber auch eines der ärmsten Länder der Welt. Oder natürlich China: 2009 haben wir für 37,2 Milliarden Euro exportiert und für 56,7 Milliarden Euro von rechtlosen chinesischen Hungerlöhnern produzierte Waren eingeführt. Da tolerieren wir offensichtlich nicht nur die Intoleranz, sondern bereiten ihr sogar den Boden. Vorm jüngsten Gericht unserer selbst verfassten Werteordnung werden wir uns einmal nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung, sondern zudem wegen Beihilfe verantworten müssen.


Haarscharf

Januar 2011 – Schneepflug-Komfort-Schutz, mit Mineralöl verbesserte Gleitfähigkeit des Lubrastrip, Präzisionstrimmer, pulsierende Mikroimpulse, Elastomer-ummantelter Griff, 5-Klingen-Technologie – nein, das sind keine Einzelheiten der quälenden Tötungsapparatur In der Strafkolonie von Kafka. Tatsächlich ist hier die Rede von der tragischen Evolution der Nassrasur. Für das, wofür früher nicht viel mehr als eine scharfe Klinge und etwas Geschick bei der Handhabung von Nöten waren, braucht es heute „30 individuell aufeinander abgestimmte Komponenten“, „acht Jahre intensiver labortechnischer und klinischer Forschung“, 20 Patente und eine Batterie. Das nutzlose Ende einer noblen Kultur. Aftershave brennt heute auch nicht mehr – ich empfinde das als Verlust.


Auge um Auge

Oktober 2010 – Kennen Sie das Problem auch: müde Männeraugen. – – Nein? Tja, ich eigentlich auch nicht. Ganz abgesehen davon, dass ich mir zwar einen müden Blick, aber nur schwer müde Augen vorstellen kann. Wie auch immer, wer morgens dumm aus der Wäsche guckt, kann sich jetzt den Men Expert Hydra Energy Augen Roll-on von L'Oréal Paris aufs Auge drücken lassen. Das Ergebnis (laut Herstellerangaben): Die Augenringe wirken wie aufgehellt. Schau mir auf die hellen Ringe, Kleines.


Geschmacklos

September 2010 – Von August bis zum 19. September hatte Coca-Cola Light in Deutschland das Diamantenfieber ausgerufen. Wer die richtige Brauseflasche erwischte, konnte einen von 66 Diamanten gewinnen. An sich schon ein wenig moralisches Werbetreiben mit der Gier nach edlem Tand. Just während der öffentlichkeitswirksamen Zeugenaussagen von Naomi Campbell und Mia Farrow beim Prozess gegen Liberias Ex-Diktator Charles Taylor aber eine mehr als geschmacklose Aktion. Taylor war tief verwickelt in den Handel mit illegal geschürften Diamanten. Um an diese Blutdiamanten zu kommen, unterstütze er im Bürgerkrieg von Sierra Leone die Revolutionary United Front, deren Markenzeichen es war, bei Überfällen auf Dörfer den Bewohnern Gliedmaßen abzuschneiden. Zehntausende starben, etwa 20.000 Verstümmelte fristen heute ihr Dasein in einem der ärmsten Länder der Welt. Daran hat sich auch wenig dadurch geändert, dass heute Diamanten aus Sierra Leone größtenteils wieder legal gehandelt werden. Wenn skrupellose Diktatoren fehlen, die die Wertschöpfung heimlich absahnen, schaffen Konzerne den Reichtum ganz legal außer Landes. Angesichts des nachhaltigen Leidens infolge der mit Diamanten finanzierten Massaker, der tödlichen Armut in den afrikanischen Quellenländern und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen beim Schürfen klebt Blut wohl nicht nur an ausgesprochenen Blutdiamanten. Ihre Geschichte ansehen kann man den Steinen sowieso nicht. Aber denken kann man sie sich und dann als Verbraucher entsprechend handeln.


Nicht schwitzig

August 2010 – „Von der Stirne heiß / Rinnen muss der Schweiß / Soll das Werk den Meister loben“. Zu den Zeiten, als Schiller Das Lied von der Glocke dichtete, war Schwitzen noch ein Gütesiegel der Qualität. Heute sucht man Anstrengung verschämt zu verbergen. Heute haben „ablenkende peinliche Schweißflecken im Leben und unter den Achseln aktiver Menschen keinen Platz“ mehr. Damit einem der gegebene Müßiggang auch anzusehen ist, kann man sich jetzt Hygienebinden unter die Arme klemmen. MY DRY TM Achselpads. Vor den Erfolg habe die Mode-Götter das Schweißpad gestellt. In Watte gepackt – einzeln eingeschweißt, für 50 Cent am Tag.


Schafskälte

Juli 2010 – Fernsehen macht doch nicht blöd! In Millionen Deutschen ist nach vier Wochen WM-Telekolleg die erstaunliche Erkenntnis gereift: In Afrika ist im Sommer Winter (obwohl es die gleiche Uhrzeit wie bei uns ist)!
Ob das wohl am Klimawandel liegt? Bei solchen Erwägungen müssen viele in Deutschland um den eigenen Sommer gefürchtet haben. Wie anders lässt sich erklären, dass die Bundesbürger trotz Hitzerekorden Pullover hamsterten. Kaschmirpullover. Babykaschmir. Der blaue Jogi-Löw-Glücks-Wunderpulli von Strenesse. Anfang Juli war das Teil landesweit ausverkauft und in vielen Läden wurden/werden Wartelisten geführt. Kein Wunder beim Glücksschnäppchenpreis von 199 Euro. Wenn’s schee macht. Ich kaufe, also bin ich.


Sch... WM

Juni 2010 – Edeka verkauft zur Fußball-WM Klopapier mit Rasenduft, was einen unmittelbar an Franz-Otto Krüger und Wilhelm Bendow auf Loriots Rennbahn erinnert: „Achtung, jetzt geht’s los! Jetzt geht’s los! – Jetzt laufen sie, 1, 2, 3, sie laufen, sie laufen. – Jetzt finishen sie!“ – – „Sie finishen – direkt auf’n Rasen?“
Bendows berühmtes, darauf folgende „ja wo laufen sie denn“ kann man heute angesichts solcher Konsumauswüchse durchaus als Sinnfrage unserer modernen Gesellschaft verstehen.

Siehe hierzu auch: Fan-Marmelade (Heidelbeer-Blutorange-Mandarine), das inzwischen zu jedem halbwegs populären Anlass unvermeidliche Langenscheidt-Wörterbuch, hier: „Fußball – Deutsch, Deutsch – Fußball“ (Gerhard Delling – ganz ohne Netzer), ein schwarz-rot-goldener Trinkerhelm (mit Dosenhaltern und Schlauchleitung), Fan-Dirndl (1.700 Euro), Strass-Trillerpfeife, Ballerinas (ein Paar = drei Schuhe in drei Farben), deutschlandfarbige Teelichthalter und sogar der seinerzeit für jeden Opel Manta obligatorische Fuchsschwanz ist in einer schwarz-rot-goldenen Variante wieder auferstanden.
Auch die Haustiere werden anlässlich der WM wieder zur konsumtiven Selbstinszenierung missbraucht. Fressnapf bietet Hunde-WM-Trickots und dazu passend schwarz-rot-goldene Pfotenbänder als Stutzen.
Vorbei sind die Zeiten, in denen der Ball einfach nur rund war und ins Eckige musste. Nur der Rasen ist noch schöner grün.


Auf den Hund gekommen

Juni 2010 – Am 06.06. hat der Verband für das Deutsche Hundewesen erstmals den Tag des Hundes organisiert. Erwartungsgemäß wieder ein Anlass für neue tierhalterische Absonderlichkeiten auf den mehr als 600 Veranstaltungen deutschlandweit: ein Gottesdienst „für alle Hunde“, das Seminar „Denken lernen wie ein Hund“, Dogfrisbee, Aktionstag „Welcher Mensch passt zu mir - Hund fragt, Mensch antwortet“ und Hundetriathlon. Auch zu einem gemeinsamen Frühstück wird eingeladen – fragt sich, wer frühstückt da mit wem?

Einen Tag zuvor haben Laurie Anderson und Lou Reed in Australien ein Konzert für Hunde gegeben. Zum Teil in nur für Hunde hörbaren Frequenzbereichen. Fast 1.000 Hunde kamen vor die Oper in Sydney „Die Hunde waren wirklich wundervolle Zuhörer, sie haben gegroovt, viele von ihnen haben gesungen und getanzt, sie waren ungehemmt“, meinte Anderson hinterher (ernsthaft).


Milchmädchenrechnung

Mai 2010 – Für einen Liter Milch musste man 1950 durchschnittlich 19 Minuten arbeiten, heute sind es nur noch vier Minuten. Für zehn Eier waren es damals sogar zwei Stunden, jetzt sind es acht Minuten (IW Köln Wohlstand in Deutschland, 2010). Wenn wir auch immer weniger arbeiten (inzwischen nur noch 1.400 Stunden pro Jahr, was in etwa einer 32-Stunden-Woche entspricht) wird darin doch in erster Linie der Wertverlust von Lebensmitteln deutlich. Nicht einmal die vitalen Grundlagen unseres Daseins sind uns noch die Mühe wert. Das real existierende Schlaraffenland liegt am Stadtrand und hat einen Parkplatz. Und im Schlaraffenland wusste schon Hans Sachs (1530): „Doch muss sich hüten da ein Mann / Dass man Vernunft ihm merket an“. Also bloß nicht nachdenken, wenn man beim Discounter einkauft!


Eingesackt

April 2010 – Louis Vuitton treibt die Demonstration, wie man ganz unverhohlen seine Kunden nach St(r)ich und Faden verarschen kann auf die Spitze: Mit der „Raindrop Besace“ bietet der Taschenhersteller einen Müllbeutel am Lederriemen für 2.000 US-Dollar zum Kauf an.


Wenn Sie gedankenlos ziehen

April 2010 – Mit dem auf der Spielwarenmesse 2010 vorgestellten Monopoly World schafft Hasbro beim Monopoly das Spielgeld ab. Ein Computer übernimmt den bargeldlosen Zahlungsverkehr zwischen den Spielern. Die Notwendigkeit das Wechselgeld auszurechnen oder die Zahlungsfähigkeit zu überschlagen entfällt damit. Jetzt können auch die Kleinsten einkaufen ohne nachzudenken wie die Großen im richtigen Leben.


Aktuelle Hundemorde

April 2010 – Auf einer Madrider Tier-Modenschau hat sich ein Hund auf dem Laufsteg in seinem Mantel verwickelt und selbst erdrosselt.


Soylent Green

Oktober 2009 – Von wegen digitale Zukunft. „Alles analog!“, heißt die moderne Devise. Naturanalog. Wörtlich übersetzt bedeutet das: der Natur entsprechend. Nur so als ob, ergo: unnatürlich. Naturanalog, das sind heute immer mehr Lebensmittel. Mithin könnte man gleich und tut es tatsächlich auch von Analog-Lebensmitteln sprechen – also von solchen Substanzen, die nur vorgeben Lebensmittel zu sein, in Wirklichkeit aber das Dasein einer sägemehligen Geschmacks-Fata Morgana fristen. In der Anmutung von Käse, Joghurt, Schinken, Brühe, Eiscreme, Garnelen, Früchtetee und so weiter sind Analog-Lebensmittel inzwischen massenhaft allgegenwärtig. Das provoziert unweigerlich Szenen aus Soylent Green (dt. Jahr 2022 … die überleben wollen) von 1973 vorm geistigen Auge: von Bulldozern zusammengeschobene Menschenmassen, die sich um das letzte knappe Nahrungsmittel Soylent balgen. Sie schmecken und wissen nicht, dass es aus den Leichen ihrer verstorbenen Mitbürger hergestellt wird. – „Soylent Grün ist Menschenfleisch!“ – Und wenn sie es wüssten, blieb ihnen auch keine andere Wahl.

Zurück in unsere Realität: Die Verantwortung für die Existenz und die wachsende Verbreitung von naturanalogem Menschenfutter allein auf die Unmoral der Lebensmittelindustrie oder die Unfähigkeit der Verbraucherministerien abzuschieben – wie es zum Beispiel der selbsternannte hohe Priester des dem Kommerz geopferten guten Geschmacks Wolfram Siebeck macht – ist billig. Wären wir nicht so müßig, uns alles und immer vorkauen zu lassen, fiele uns selbst auf, dass wir Kunststoff verzehren. Die Bequemlichkeit der Fertigpizza überwiegt den natürlichen Überlebensdrang gesunder Ernährung. Bei einem Drittel der Bevölkerung mit durchschnittlich sieben Stunden täglichem Fernsehkonsum sind Analog-Lebensmittel nur die konsequente Folge ihres Analog-Lebens.


Markenliebe

August 2009 – www.mybestbrands.de: Was brauchst du Freunde, wenn du Markenklamotten hast? – „Ein brand, ein guter brand, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt …“


Tierliebe

Juli 2009 – Die deutschen Heimtierhalter-Blogs fiebern: Wann wird sie in Deutschland erhältlich sein. Die „Doggie Lover Doll“. Eine aufblasbare Sexpuppe für Hunde. Der Überraschungsknüller auf der 8th Pet South America. Erhältlich in drei verschiedenen Größen: für kleine, mittlere und große Rüden. Mit Silikon-Vagina und einem einfach zu reinigenden Reservoir. „Human beings have their hands to masturbate themselves, now the domestic animals, which have practically no contact with females in heat, can alleviate themselves with a toy designed specifically for them.”

Dem Hersteller PetSmiling liegen schon Händlerbestellungen aus den USA, Japan und Deutschland vor. Wo sonst ließen sich Kunden finden, die sich um solche Probleme bereits ernstlich Sorgen machen?


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